„Zwei gute Nummern pro Programm“
Der Standard 08/1994
Auf den Pünktlichkeitsfanatiker Andreas Vitàsek warten zu müssen, ist schon fast eine Ehre. Dabei war er ja auch diesmal eigentlich rechtzeitig im vereinbarten Kaffeehaus, musste nur noch einmal rasch weg, um vor Geschäftsschluss Batterien für seinen CD-Player zu kaufen. Eine fünfstündige Zugfahrt steht ihm heute noch bevor – ohne Musik ein Horrortrip. Derzeitiger Dauerbrenner: die Neue von Neil Young. Oder Sachen von Elvis Costello, Tom Waits oder Lou Reed. „Eigentlich alles“, sagt er und verleiht damit dem Wörtchen „alles“ eine völlig ungeahnte Dimension. Genau so, wie er in seinen Programmen allabendlich seinen Mikrokosmos scheinbar in den Rang des Weltalls erhebt und seine Horizonte bis zu den Grenzen der Existenz zu reichen scheinen. Könnte man zumindest tiefsinnig assoziieren. Doch das wäre Andreas Vitàsek bestimmt wieder viel zu „analytisch-psychologisch“. Wie auch die ihm angedichtete kindliche Kommunikationsschwäche, aufgrund derer er vor mittlerweile über 16 Jahren zur Pantomime und Clownerie geflüchtet sein soll. Alles Quatsch: „Damals war einfach gerade die große Sprachskepsis in Mode. Der Körper lügt nicht und Entdecke dich selbst und so weiter.“
Damals jedenfalls hat das begonnen, worauf der Schauspieler, Regisseur und Kabarettist Andreas Vitàsek – „nur Feinde nennen mich Andi“ – ab dem 6. September fünf Wochen lang in dem größten der Kleinkunsttheater, dem Vindobona, zurückblickt.
„Bilanz“ heißt die Zusammenstellung aus den vergangenen dreizehn Jahren Kabarett, die alles andere als ein „Best of“ sein will. Entstanden ist sie auch nur deshalb, weil Vitàsek keine Lust mehr hatte, sein letztes Erfolgs-Solo „Unterwegs“ noch länger zu spielen. Ein neues Programm kam allerdings auch nicht in Frage, denn er hatte fest vor, den Sommer über zu faulenzen. Einzige Lösung: Alte Nummern und Requisiten wieder hervorkramen. Teilweise aus den hintersten Winkeln des Kellers. Modrige Masken, die tagelang ausgelüftet werden mussten. Aber die Suche hat sich gelohnt: Die „Bilanz“ dürfte sich für Andreas Vitàsek zu einer wichtigen Raststätte auf seinem beruflichen Werdegang mausern. Die Freilegung der poetischen Ader, die sich durch sein Werk zieht. Eine Spurensicherung, die ihm die Frage beantworten soll „Woher komme ich?“ und möglicherweise Rückschlüsse zulässt auf die unvermeidliche Anschlussfrage „Wohin gehe ich?“.
Einiges hat der selbstkritische Künstler schon bei der Erarbeitung der „Bilanz“ über sich lernen müssen. Zum Beispiel, dass es in jedem seiner bisherigen sieben Programme nur höchstens zwei Nummern gibt, die wirklich von vorne bis hinten stimmen. „Alles andere ist geschummelt“.
Diesen ganz besonderen Sketchen soll nun – Jahre nach ihrem erstmaligen Ableben – mittels „Bilanz“ neues Leben eingehaucht, und mittels moderner Technik ein Hauch von Unsterblichkeit verliehen werden. Ähnlich jener des Selbstporträts Rembrandts, vor dem Vitàsek unlängst sinnierend verweilte, bis ihm plötzlich unmissverständlich klar wurde, dass Rembrandt ihn ansah. Und dass Rembrandt dieses Bild in dem Bewusstsein gemalt hat, dass er noch in hunderten Jahren – durch sein Bild – Menschen ansehen würde: „Wie ein Telephonge-spräch in die Zukunft.“
Im Moment allerdings reicht ihm die Zukunft bis zum 8. Dezember. Solange spielt er seine „Bilanz“ in Wien – und in der Zeit wird sich entscheiden, ob er mit ihr auch auf Tournee gehen muss – „das sagt mir dann mein Manager“ – oder ob er sich wieder anderen Tätigkeiten zuwenden wird können. Wobei er sich mittlerweile durchaus den Luxus leisten kann, ohne 5-Jahres-Pläne durchs Leben zu schreiten. Hoch dotierte Party-Auftritte kommen für ihn nach-wie vor ebenso wenig in Frage wie Wahlkampf-Engagements. Nicht einmal für die Grünen. Da käme er sich eingespannt und missbraucht vor. Auch luftschlossartige Ziele verfolgt er schon lange keine mehr, da sich die meisten seiner beruflichen Wünsche, kaum dass sie greifbare Realität wurden, als herbe Enttäuschungen herausgestellt haben. Höchstens der Film. Der wäre eine große Herausforderung, sagt der mittlerweile 38-jährige, der mit Malaria und Müllers Büro seinerzeit zu breitenwirksamen Ruhm gelangte. Das Geschäft des Filmemachens so fest in der Hand haben, dass sich die persönliche Intensität, die er in konsequenter Einzelarbeit auf die Kabarett-Bühne zu bringen im Stande ist, auch auf der Kinoleinwand vermittelt. Wie bei Woody Allen. Aber er wolle keine Idole strapazieren, sagt er.
Dass er selbst seit einigen Jahren in der Schweiz und in Österreich ein gefragter Theater-Regisseur ist, aber bei seinen Solo-Programmen niemanden an der Inszenierung mitwirken lässt, ist für ihn kein Widerspruch. Im Gegenteil. Schließlich gibt es niemanden, der besser als er selbst wisse, was sich der Autor dabei gedacht habe. Viel Freude würde Andreas Vitàsek einem Regisseur wahrscheinlich auch nicht machen, gehören doch Verletzlichkeit und Sturheit zu seinen charakteristischsten Wesenszügen.
Außerdem sei er der ewige Loser, bemerkt er noch, bevor er sich anschickt, zum Tennis-Match mit seinem Freund und Büchsenöffner-Kollegen Camillo Schmidt aufzubrechen. Selbst beim Tennis fehle ihm der Killer-Instinkt, eine fast schon gewonnene Partie auch siegreich zu beenden. Und die Zeit der Loser sei heutzutage endgültig vorbei. Heutzutage wollen die Frauen einen Mann mit sicherem Job und großem Auto, behauptet er voll unbekümmerter Resignation, packt das dicke „Bilanz“-Manuskript, dessen Umschlag ein Photo seiner neuen Lebensgefährtin ziert, wieder in seine Aktentasche, und verschwindet im innerstädtischen Touristengewimmel.
Und der Tod? Kommt beim Vitàsek am Schluss nicht immer der Tod? Ab sofort nicht mehr. Der hat nämlich die Rauschmeißerrolle satt. Außerdem ist er der einzige, der für die „Bilanz“ einen neuen Text lernen muss – und das kann selbst dem Tod ziemlich auf den Geist gehen.
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