Höflich sterben
Stermann, Grissemann und Strunk: Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt’s von irgendwo noch schlimmer her.
kabarett.at 03/2007
Drei Männer im Auto. Mitten im Wald. Bei einem nächtlichen Ausweichmanöver sind sie auf einem Hang weit von der Straße abgekommen. Und jetzt gibt es kein Vor und Zurück mehr. Das Auto ist rettungslos eingekeilt zwischen zwei Bäumen. Und damit noch nicht genug : Die boshafte Vegetation blockiert alle Türen. Und die Fenster sind aus Panzerglas. Schließlich handelt es sich bei der Limousine um den ehemaligen Dienstwagen von Kurt Waldheim. Auf e-bay ersteigert.
Eine geradezu lächerlich kuriose Situation. Für die Insassen anfänglich lästig und zermürbend, aber alles andere als aussichtslos. Die Ausweglosigkeit schleicht sich nur ganz langsam in ihr Bewusstsein. Weil doch nicht sein darf, was nicht sein kann: dass man mitten in Niederösterreich, wahrscheinlich nur ein paar hundert Meter von der Zivilisation entfernt, gefangen in seinem eigenen Auto verhungert. Doch die Bedrohlichkeit nimmt von Stunde zu Stunde zu. Und mit ihr die zwischenmännlichen Jämmerlichkeiten.
Mit nur wenigen einleitenden Szenen gelingt es Antonin Svoboda (Regie) seine drei Hauptpersonen exakt zu charakterisieren. Baisch (Dirk Stermann): ein frisch von seiner Frau getrennter und krampfhaft um Haltung bemühter Geschichts-Professor. Sein Schwager Anzengruber (Christoph Grissemann): ein zynischer und depressiver Tabletten-Junkie. Und schließlich Schwanenmeister (Heinz Strunk), der zufällige Anhalter auf der Rückbank: ein drittklassiger, deutscher Entertainer mit diversen Verhaltensauffälligkeiten.
Diese unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft entwickelt in den gemeinsam auf engstem Raum verbrachten Tagen und Stunden eine höchst abwechslungsreiche Gruppendynamik. Die reicht von höflichem Smalltalk über boshafte Psycho-Terror-Spielchen bis hin zu offenen Aggressionen. Doch je weniger sie miteinander zu tun haben wollen, umso näher lernen sie sich kennen. Allein schon durch die unvermeidliche Verrichtung stoffwechselnder Bedürfnisse.
Trotz etlicher abstrus anmutender Ver- und Entwicklungen, wird die Vernunft von der Handlung nie beleidigt. Alles bleibt erschreckenderweise im Rahmen des durchaus Denkbaren. Und die Figuren verhalten sich durchwegs ihren jeweiligen Wesen und den Umständen entsprechend rational. Das ist die große Qualität dieser tragikomischen Sozio-Satire oder Etho-Groteske: der Ausnahmezustand entlarvt unsere ganz normale Verhaltensweisen. Gesellschaftlich bewährtes Benehmen verkommt auf den letzten Metern vor dem erbärmlichen Ende zu hilflosem Marionettentheater.
Ausgerechnet die Herren Stermann, Grissemann und Strunk bei ihren inneren Kämpfen zwischen Unbeugsamkeit, Resignation, Wut und Hysterie beobachten zu dürfen, und wie sie verzweifelt versuchen, ihre Selbsterhaltungstriebe halbwegs in Würde auszuleben, ist ein Vergnügen, das versäumt zu haben sich später mal niemand vorwerfen lassen müssen sollte. „Immer nie am Meer“ hat eine ganz eigentümliche, ungewohnte und daher umso wirksamere Komik, die zur Gänze aus der Absurdität der Lage und den Kontrasten zwischen den Protagonisten erwächst. Dazu ein paar wenige, unaufdringliche Pointen in Gestalt gewitzter Dialoge – und fertig ist der feinste Spaß, der uns das Kino zurzeit zu bieten hat.
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