Märchenstund hat Gold im Mund
Der Standard 09/1999
Zuwendungsbedürftige Tiefkühltruhen, Elche mit Gasmasken, randalierende Riesen und Leintücher verspeisende Mütter. Bei Franz Hohler findet alles seinen Platz. Auch jenes “vegetarische Krokodil”, das nach einem vergeblichen Diät-Versuch den Joghurt-Verkäufer verspeist – und dem aktuellen Programm des schweizer Kabarett-Altmeisters seinen Namen gab.
“Es war einmal” : Mit freundlicher Hinterhältigkeit bedient sich Hohler in seinen Geschichten der formalen Muster von Märchen und Fabel, nur um die damit unweigerlich einhergehenden Erwartungshaltungen eines mit H.C. Andersen und den Gebrüdern Grimm sozialisierten Publikums schelmisch zu brechen. Wenn eine vom feschen Prinzen befreite Prinzessin beschließt, lieber beim Drachen zu bleiben, weil der es mit ihr über den Wolken gar so toll treibt, ist ungläubiges Erstaunen unausweichlich.
Hohlers Erzählungen, die er im Verlauf des Abends aus einem überdimensional großen und einem westentaschenkleinen Buch vorliest, sind verblüffend, absurd und rührend, aber selten anrührend. Nur einmal stellt sich Gänsehaut ein : wenn er in der Figur eines Oberstudienrats seinen längst erwachsenen Schülern unheilvoll im Traum erscheint – und die kindlichen Erinnerungen nicht zur Ruhe kommen.
Mehr davon, und “Das vegetarische Krokodil” wäre nicht nur jene stimmungsvolle, phantastische Lesung, die es ist. Doch ein weiser Opa, der die Spielarten des Kabaretts seit Jahrzehnten in- und auswendig beherrscht, genießt Narrenfreiheit. Wenn es ihm gefällt, seine Lieblings-Geschichten vorzulesen, mit Hilfe des Publikums ein Märchen aus dem Ärmel zu schütteln und zur Darstellung einer Labormaus eine Faschingsmaske überzustülpen, dann ist auch das gut. (pb)
(Noch bis Samstag im Wiener “Orpheum”)
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