Etiketten-Schwindel
Der Standard 03/1994
Der Begriff Kabarett hat in den letzten Jahren eine Bedeutungs-Dehnung bis an die Grenzen seiner Reißfestigkeit erfahren: vom parodistischen Nummern-Ulk bis zum satirischen Monodram – alles ist Kabarett. Was uns Regina Hofer allerdings derzeit als Selbiges im Spektakel unterzujubeln trachtet, überspannt den Bogen beträchtlich. Ihr Stück „Adolf – Liebesperlen“ mit dem Attribut Solo-Kabarett zu versehen, stellt eine eklatante Verletzung der kleinkünstlerischen Produkt-Deklarations-Übereinkunft dar. Schlicht und einfach Etikettenschwindel. Noch dazu einer, der niemandem etwas nützt: Denn wer falsche Erwartungshaltungen sät, wird Missachtung ernten. Nicht zu schweigen davon, dass Hofer nebenbei auch dem erfolgsträchtigen Image des Kabaretts einen Bärendienst erweist.
„Adolf – Liebesperlen“ ist die dramatisierte Zusammenfassung einer oberösterreichischen Familienchronik – mit der einen oder anderen textlichen und schauspielerischen Pointe. Da mag das Schicksal des Feinkostladen-Besitzer-Ehepaars Ella und Adolf Huber in den politischen Wirrnissen der 30’er und 40’er Jahren noch so fein geschnitzt sein – auf einer Kabarett-Bühne hat es nichts verloren und daher auch nichts zu suchen.
Auch die wohl als humoristischer Rausreißer konzipierte Figur des Dorfdeppen Loisl wirkt in dem ihr gebotenen Umfeld der blassen Bedeutungsschwangerschaft grell und traurig deplatziert. Zwar gelingt es Regina Hofer, ein anschauliches Sittenbild einer oberösterreichischen Kleinstadt zu vermitteln, in der der anonyme Suizid im Nachbarort mehr erschüttert als die eben bekannt gewordenen Vorgänge in Mauthausen, doch bleiben Adolf und Ella zu einschichtig und zu verwechselbar, als dass sie zu plastischen und dynamischen Botschaftern der Zeitgeschichte avancieren könnten, wie es uns der leibhaftige „Herr Karl“ – auch in der Feinkost-Branche – auch heute noch vorzuexerzieren vermag. Im Kabarett gibt es halt derzeit noch keine Alternative zum Humor als dem geeignetsten aller inhaltlichen Transportmittel.
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