Lebenswut
Der Standard 12/1995
In Zeiten, in denen der Begriff „ausmisten“ wieder einiges an Aktualität gewonnen hat, veranstalten Theatermacher Hubsi Kramar und der Akkordeonist Otto Lechner mittels einer musikalischen Lesung die Wiederbelebung eines im dritten Reich „ausgemisteten“ und daraufhin fast in Vergessenheit geratenen Autors: Jakob Haringer (1898-1948), Verfasser expressionistischster Lyrik voll lebenswütiger Intensität.
„Als Gott mich erschuf, erschrak er und verstarb.“
Kein passenderer Rahmen hätte gefunden werden können für die in Österreich erstmalige Präsentation seines Werks, als das bodenständige Gasthaus-Hinterzimmer auf der Wieden. Hier könnte er fast im Publikum sitzen, der unbequeme und sinnliche Vagant Haringer. Hier – und bisweilen wohl auch in der Gosse – sind sie entstanden: seine Gedichte, Gedanken und Geschichten, die direkt aus Bauch und Herz kommen – und durch Mark und Bein gehen. Lebensweisheiten eines Verfolgten, reduziert und verdichtet, ohne ihre poetische Phantasie einzubüßen.
„Heute wollte ich ein neues Leben beginnen. Da kam der Tod, brach mein Herz – und lachte mich aus.“
Die „Lieder eines Lumpen“, werden ziehharmonisch einfühlsam moderiert, schnörkellos und naturbelassen vorgetragen – und wirken nur an jener Stelle unbefriedigend, an der man ihnen ob der tränenerstickten Stimme des von Emotionen übermannten Kramar inhaltlich nicht mehr zu folgen vermag. Doch das ist bei „Bierreisen zum lieben Gott“ wohl inbegriffen. (Gasthaus Sperl, 4., Karolinengasse 13, 6.-9.12., 20:00)
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