Bitter und bodenlos
Der Standard 12/1998
Nachdem er das größtenteils bereits im Gehen befindliche Publikum als anhaltende „standing ovations“ fehlinterpretiert hat, ist es bei der dritten Zugabe endlich soweit : Zwei Stunden lang hat er es sich tapfer verkniffen, aber zu „Love don’t need a reason“ steigt Alfons Haider von der Bühne und schüttelt die Hände der am Mittelgang Platzierten. Als erstes einer Dame mittleren Alters, der er voll Inbrunst die Textzeile „Der Tod war noch nie so nah“ entgegenschmachtet. Doch derartige humoristische Highlights haben in „Haider 3 (Dry)“ (Autor: Peter Orthofer) leider Seltenheitswert.
Jegliches überzeugende Rollenspiel scheitert an Haiders Distanz zu den verkörperten Figuren. Trotz opulenter Kostüme und Maske. Haider bleibt lieber Haider, ganz egal, wen er darzustellen trachtet. In seinen Conferencen hantelt er sich mit altbackenen Showposen, zahnlos und vollbärtig durch alle sich anbietenden Aktualitäten, erntet für „Krenn hält Groer die Stange“ Lachsalven und Szenenapplaus und zieht mit an öffentlich-rechtlich grenzender Ausgewogenheit alle Parteien durch seinen dünnen Kakao. Ein blauer Schal als Symbol für den anderen Haider hat bei ihm noch lange nicht ausgedient.
Auch, dass Kaiserin Sissi über ihre Jubiläums-Vermarktung unglücklich wäre, im Innenministerium mit geschützten Daten geschachert wird, Karl Moik ein peinlicher Exportartikel und Karl Habsburg keine Leuchte ist, sind Erkenntnisse, die nicht dazu geeignet sind, seinen angestrebten Ruf als besonders bissiger Kabarettist zu fördern. Eher noch, um sich selbst Argumente für die eingangs verlautbarte These zu liefern, dass “politische Satire in Zeiten wie diesen leider weder modern noch bequem” sei. Und die Lieder – vor allem der zweiten Hälfte – sind ein Kapitel für sich. Engagement (Umweltschutz), Betroffenheit (Liebe) und Bedeutungsschwangerschaft (Homosexualität) gipfeln in einem von Belanglosigkeit kaum zu überbietendem Finale: Zur Melodie von YMCA stellt Haider – zusammen mit seiner zu allem Überfluss stimmlich und rhythmisch erstaunlich dissonanten Band – die wichtigste Frage der Menschheit: „Wo gehen wir heute Abend hin ?“.
Fazit: Haider erfüllt die Erwartungen. Mit einem Abend, den man so bald nicht vergessen wird. So sehr man sich auch bemüht.
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