Der große Bluff von Langenfeld
Der Standard 10/1994
Langenfeld ist ein kleines, tiefschwarzes Nest bei Köln. Jochen Herdieckerhoff ist ein dort ansässiger, umtriebiger Veranstalter. „Habsburg Recycling“ ist eine relativ respektlose österreichische Kabarett-Gruppe. Alle zusammen sind sie verantwortlich für den schönsten Bluff des heurigen Herbstes.
Begonnen hat alles mit der Idee, im sog. Langenfelder „Schau-Stall“ die „Wiener Festwochen“ zu initiieren. Ein zweiwöchiges Kabarett-Fest, das vergangenen Samstag durch „Habsburg Recycling“ eröffnet wurde. Aber wie !
Von Wien aus – aus einem flugs erfundenen privaten PR-Büro des baldigen Privatiers Helmut Zilk – wurde bereits Tage zuvor den örtlichen Medien und den Stadtvätern Langenfelds mitgeteilt, der Wiener Bürgermeister werde es sich nicht nehmen lassen, höchstpersönlich die Eröffnungs-Ansprache zu halten. Eine Ankündigung, die zusammen mit der Bitte um eine Liste der zu erwartenden Honoratioren die Stadtverwaltung einigermaßen in Unruhe versetzte, lag doch vor allen den CDU-Vertretern – inkl. Langenfelds Bürgermeister Görgens – nichts ferner, als ausgerechnet am Vorabend der Bundestagswahl (!) einer traditionellerweise rot-grünen Kleinkunst-Veranstaltung beizuwohnen, nur weil ein Wiener Bürgermeister aufzutauchen gedenkt. Fazit: Während die regionalen Zeitungen dem Besuch Zilks freudig-verwirrt entgegensehen, ignoriert das offizielle Langenfeld das bevorstehende Ereignis und freut sich auf eine ganz andere samstägliche Veranstaltung: eine dem Münchner Oktoberfest nach-empfundene Feier der Schützenbruderschaft in der „Stadthalle“.
Alsdann schlüpft Peter Skrepek, Musiker bei „Habsburg Recycling“ und begnadeter Stimmen-Imitator, in die Figur Helmut Zilks. Thomas Gratzer übernimmt die Rolle des Pressesprechers, Hubsi Kramar und Harald Posch mimen die Bodyguards. Mit redaktioneller Unterstützung des WDR gelangt – quasi als Echtheits-Zertifikat des hohen Besuchs – ein zehnminütiges Interview mit dem falschen Zilk – live aus der gemieteten Mercedes-Limousine auf dem Weg nach Langenfeld – zur Ausstrahlung, in dem er sich ausführlich zur Lage der Nation („..Wahlen..,..Dagi.., ..Haider nicht kopulationsfähig… etc.) äußert.
Ermutigt beschließt der Tross, vor der Festwochen-Eröffnung der Gegenveranstaltung einen versehentlichen Besuch abzustatten. Damit haben die dort „einträchtig vereinten Spitzenkandidaten der etablierten Parteien“ (Neue Rheinische Zeitung) nicht gerechnet. Mit Hilfe eines Kamera-Teams des WDR verschafft sich die subversive Truppe überzeugend Zutritt. Alle Versuche, Zilk durch heftige Zuflüsterungen – „Sie sind hier auf der falschen Veranstaltung“ – am Betreten der Bühne zu hindern, scheitern kläglich. Einer nun doch unvermeidlich gewordenen offiziellen Begrüßung des Bürgermeisters folgt eine staatsmännische Rede Zilk-Skrepeks, in der er sich vor allem von dem blau-weißen Saalschmuck – „erinnert ein bissl an Griechenland“ – entzückt zeigt. Keiner durchschaut das Spiel.
Zilk reist weiter in den „Schau-Stall“, eröffnet das österreichische Kabarett-Festival und gesellt sich zum großen Erstaunen des Publikums als Gitarrist zu „Habsburg Recycling“ auf die Bühne. Erst jetzt tauchen bei dem einen oder anderen Langenfelder erste Zweifel an der Authentizität des hohen Gasts auf. Den verulkten Besuchern des honorigen Oktoberfests offenbart sich die Eulenspiegelei erst im späteren Verlauf des Abends, als Jochen Herdieckerhoff via Rundfunk stolz den gelungenen Bluff erläutert. Schützenbrudermeister Klaus Klinkers: „Als wir die Wahrheit erfuhren, waren wir schon sehr entrüstet !“ (Rheinische Post)
Im Langenfelder Rathaus wird angeblich seither eifrig nach einem Sündenbock gesucht.
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