Das Hirn will ja denken
„Dass es uns gibt, hat keinen Sinn. Enttäuschend, aber der Preis der Klarheit.“
kabarett.at 10/2006
Ach, wie schön, dass es hierzulande Kabarettisten gibt, die zwei Tage nach Nationalratswahlen ein Programm auf die Bühne stellen können, in dem Politik aber so was von keine Rolle spielt. Auch nicht in Nebenbemerkungen. Nicht einmal andeutungsweise, um kurz Kompetenz anzudeuten. Nein. Kein Wort. Das sollte sich mal ein Kabarettist in Deutschland trauen. Und trotzdem wäre es falsch zu behaupten, Gunkl habe sich aus den Niederungen des Alltäglichen oder Aktuellen befreit. Er war nämlich nie dort. Zumindest nicht in seinen bislang acht Solo-Programmen. Privat vielleicht. Auf der Bühne nähert er sich diesmal immerhin weitgehend geläufigen Themen. Allerdings stets aus einer Richtung, aus der ihm die zu behandelnden Objekte selbst zwangsläufig den Blick auf die vertrauten Zugangsweisen verstellen. Denn rationale Argumentation und nüchterne Logik verhalten sich zumeist diametral zum Alltäglichen.
„Das Hirn will ja denken“, bemerkt Gunkl gleich zu Beginn von „Wir – schwierig“ und gibt damit das Motto des Abends vor. Und das nicht nur, weil es wie immer ratsam ist, seinem sprachlich geschliffenen und geistesscharfen Vortrag aufmerksam zu folgen, sondern weil er schlussendlich in eine Danksagung an die menschliche Phantasiefähigkeit mündet. Denn der ziemlich grenzenlose Einfallsreichtum unserer grauen Zellen ermöglicht es uns nicht nur, bei Bedarf zu lügen, sondern vor allem, Geschichten zu erfinden, Pläne zu schmieden und Visionen zu verfolgen. Das macht den Menschen besonders – und das Leben lebenswert.
Gunkl braucht keinen Glauben, um Trost zu finden. Im Gegenteil. Immer wieder gelingt es ihm, unserem irdischen Dasein mittels sehr agnostischer Argumentationsketten erfreuliche Facetten abzugewinnen. Und das trotz einer fundamentalen Sinnkrise: „Dass es uns gibt, hat keinen Sinn“, stellt er ungerührt fest. Das sei zwar enttäuschend aber „der Preis der Klarheit“.
Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis führt er uns sein Prinzip der „reversen semantischen Diät“ vor. Auf deutsch: Manche Dinge muss er einfach an- und aussprechen, damit es ihm besser geht. „Sich auskotzen“ nennt man das landläufig. Aber das passt natürlich überhaupt nicht zu jener gewählten Ausdrucksweise, mit der Gunkl den Kollegen Wittgenstein elegant ins Leere stolpern lässt, Lehrsätze wie „Denken funktioniert nur durch Sprache“ den Boden unter den Füßen wegzieht oder das „intelligent design“ so lange genüsslich auf seinem Seziertisch der Logik zerpflückt, bis nichts Nennenswerte mehr von ihm übrig ist. Da wolle die katholische Kirch doch nur mit letzter Verzweiflung „Haltungsnoten für eine kapitale Brez’n beim Verstolpern im Rückzugsgefecht“ abstauben. Seine diesbezügliche Unbarmherzigkeit grenzt schon fast an Schönborn-Bashing.
Mit verblüffenden Abhandlungen über Winkelsummen und Urlaubsvideos, über die Funktion des kleinen Wörtchens „aber“ oder die komplizierte Entstehung jener bereits im Programmtitel erwähnten Gemeinschaft, die für sich die Bezeichnung „wir“ in Anspruch nehmen zu können glaubt, rundet Gunkl sein wie immer faszinierendes, humoristisch-wissenschaftliches und bis zur letzten Verbeugung exakt einstudiertes Referat ab. Fungierte er in seinen früheren Programmen oft als Reiseführer durch surreale Welten, in denen man sich als auch nur kurzzeitig unaufmerksamer Zuhörer ziemlich verirren konnte, bietet er diesmal immer wieder gut erkennbare Haltestellen für gedankliche Wiedereinstiege. Für Gunkls Verhältnisse ist „Wir – schwierig“ dadurch schon fast ein Nummernprogramm. Freilich eines, mit dem er abermals seinem Anspruch in jeglicher Hinsicht gerecht wird, sorgfältig und verantwortungsvoll mit jenem höchsten Gut umzugehen, das ihm von seinem Publikum entgegengebracht wird: Zeit und Aufmerksamkeit.
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