Gefühlvoll
Sich dem Unvermeidlichen zu stellen, ist tapfer. Um mutig zu sein, muss man sich dem Vermeidbaren stellen.
kabarett.at 08/2008
Seit bald 15 Jahren bewegt sich Gunkl mit seinen Kabarettprogrammen in einem zwar relativ schmalen, aber doch erfreulich unerschöpflichen Segment der vielfältigen Kleinkunsttorte. Mit „Verluste“ bleibt er zwar mit seinem gut verwurzelten Standbein diesem Nährboden treu, unternimmt aber mit seinem Spielbein einige geradezu untypische Ausfallschritte in angrenzende Gefilde. Nicht, dass er anfinge, zu singen oder zu tanzen – da käme er auch mit einem Spagat nicht hin – aber er erzählt eine aus dem ganz normalen Leben gegriffene Geschichte. Ohne staatstragende Abschweifungen in Meta-Ebenen, Möglichkeitsformen oder sonst wie eher abgehobene oder dem Menschen üblicherweise unzugängliche, surreale Gedankenwelten. Und damit noch nicht genug : Er redet über Gefühle ! Ausgerechnet er ! Einer, den es – wie er ausführt – nie interessiert, wie es einem mit etwas geht, sondern nur, was das ist, das einem da womöglich gerade nahe geht. Einer, dessen Weltbild aus Fakten und Logik gezimmert ist. Einer, der seine Gefühle als dahinvegetierende Wesen in einem schlammigen Emotiotop beschreibt, die ihn höchstens mal beim Einkaufen vereinzelt kurz anspringen, wenn er sich vom Fachhandel verarscht fühlt. „Richtige Gefühle sind bei mir selten“, sagt er, „und sie treffen einander auch nie. Meine Gefühle halten sich für Einzelkinder.“
Wenn es ihm schlecht geht, laute die einzig virulente Frage : Kann ich an den Ursachen etwas ändern. Wenn nicht, könne man nur warten, bis es vergeht – oder bis man sich daran gewöhnt hat.
Das habe immer funktioniert. Weil man gewöhnt sich ja an alles. Aber auch an „Verluste“ ? Insbesondere, wenn es um Freundschaften geht ? Die Menschheit ließe sich womöglich in zwei Gruppen einteilen, konstatiert er : Jene, die der Gedanke mehr stört, dass sie tatsächlich dazu imstande sind, jemanden nicht mehr zu vermissen – und jene, die der Gedanke mehr stört, von einem ehemaligen Freund nicht mehr vermisst zu werden.
Und damit wären wir wieder mitten im Leben. Und zwar an jenem Punkt kurz nach der Matura, dem von Gunkl schon in einem früheren Programm eine ganz besonders Atmosphäre attestiert wurde. Ein Lebensabschnitt ist vorbei – aber der nächste hat noch nicht begonnen. Freiheit ! Fast Schwerelosigkeit. Ein Moment, der alle Möglichkeiten bietet. Auch seinen beiden Freunden Franz und Gabi, die nach Graz übersiedeln. „Die sind mir sehr abgegangen“ – aber er hat sich daran gewöhnt. Glaubt er zumindest. Aber er hat ja noch Michael. Oder besser : Michael hat ihn. Denn Gunkl ist dieses Eigenbrötlers einziger Freund.
Michael ist immer auf der Suche nach neuen, Horizont erweiternden Erfahrungen. Und es gelingt ihm, Gunkl dazu zu überreden, ein Erlebnis zu suchen, das ihnen eine wirklich unwiderruflich, bittere Niederlage – „eine richtige Brez’n“ – bescheren wird. Nur, um einmal gespürt zu haben, wie es einem dann geht. Vielleicht als Rüstzeug im Marschgepäck für den weiteren Lebensweg. Aber vielleicht auch einfach nur so.
Für eine derartige, konsequent durchgeführte Aktion, bedarf es schon einiges an Mut. Denn sich Unvermeidlichem zu stellen, ist vielleicht tapfer, aber sich Vermeidlichem zu stellen – das ist mutig. Wobei die Grenze zwischen Mut und Tapferkeit bestimmt einfacher zu ziehen sei, als zwischen Mut und herkömmlicher Blödheit.
Die zweite Hälfte des Programms gehört ganz den Erfahrungen, die Gunkl und Michael im Verlauf der Planung und der Umsetzung ihres kuriosen, gemeinsamen Vorhabens machen. Doch in Wahrheit geht es um etwas anderes : nämlich um den unschätzbaren Wert von Freundschaft. Und um Verluste, die schmerzen. An die man sich eben doch nicht gewöhnt. In Wahrheit geht es um Gabi.
Gunkls neuntes Solo ist ein weises, witziges, fesselndes und – wie immer – bildreich und akkurat formuliertes Erzähl-Programm über Freundschaft, Schmerz und Liebe. Wer hätte das gedacht ?
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