Allein gegen Raum und Zeit
„Die Deutschen versuchen, mit Humor zu punkten. Was machen dann die Chinesen? Demokratie vortanzen?“
kabarett.at 11/2009
Die Realität solle sich mal ernsthaft darüber Gedanken machen, meinte Severin Groebner in einem seiner früheren Soloprogramme, warum so wenig Menschen mit ihr was zu tun haben wollen. Tagtäglich würden Unsummen an Zeit, Geld und Drogen investiert, um von ihr möglichst wenig behelligt zu werden. Jakob Augustin Vladimir Nepomuk Prvni, der Protagonist seines aktuellen Programms „Man müsste mal“, beschreitet den Weg in seine persönliche Scheinwelt mit Hilfe seines Berufs. Er ist Kabarettist. Sein Bestreben, seine Ängste, Nöte und Sorgen mit überspitzten Humor auf die leichte Schulter zu nehmen, haben ihm nicht nur ein nervöses Zucken eben dieses Körperteils beschert. Mit der Verzweiflung des Mutlosen fantasiert er sich schlussendlich seine Idealwelt zurecht. In der Österreich sogar Fußballweltmeister wird. Doch alles der Reihe nach.
Prvni nennt sich selbst „Charly“. „Weil das freier Mann heißt“, sagt er. Und in dieser mittelniederdeutschen Bedeutungs-Herleitung des Namens steckt bereits die ganze Sehnsucht und Tragik der Hauptfigur. Denn Charly ist alles andere als frei. Er ist ein Getriebener. War er immer schon. Nicht nur damas, als er als Bohrkopf auf eine Ölbohrinsel gejobbt hat. Jetzt gerade steht er wieder besonders unter Druck, in der Garderobe einer großen Fernseh-Live-Show und kurz vor seinem Auftritt. In der weltweit ausgestrahlten „What a Wonderful World Show“ darf er Österreich repräsentieren. Mit einer dreiminütigen, kritisch-komischen Nummer. Das könnte sein großer Durchbruch sein. Und den hat er bitter nötig. Finanziell und persönlich. War sein Dasein doch bislang eine Verkettung von verpassten Chancen und unspektakulärem Versagen. Ein Leben geprägt von Entscheidungsschwäche und Flucht in die Verwitzung. Nicht einmal seine eigene Familiengeschichte ist ihm heilig. Seine Mutter ist als Söldnerin im Irak gefallen. Und seine Oma war eine Nazi-Schlampe. Scherz! Sein makabres galgenhumoristisches Handwerk habe er schließlich zwölf Jahre lang bei „Komiker ohne Grenzen“ erlernt. Auf schamlosen Einsätzen in Konfliktgebieten der Komik. Weltweit. Dort, wo üblicherweise kaum Witze gedeihen. Im Todestrakt zum Beispiel. Oder unter der Burka. Man müsste halt mal …
Was haben die Deutschen derweil in der „What a Wonderful World Show“ zu bieten? „ Die versuchen, mit Humor zu punkten“, höhnt der Wahl-Frankfurter Severin Groebner. „Was machen dann wohl die Chinesen? Demokratie vortanzen?“
Schuld an seinem ganzen Dilemma, erkennt Charly, sind in Wahrheit Raum und Zeit. Und die lassen nur selten mit sich reden. Darum lässt sie Groebner in einer wunderbaren Doppelconference miteinander reden. Der breite, behäbige Raum im Disput mit der rastlosen, hektischen Zeit. Neben dem programmatischen Lied „Wenn ich mal nicht ich wär …“ eine der wenigen erkennbaren Nummern in Groebners neuem Programm.
„Man müsste mal“ ist ein mit viel darstellerischem Witz intensiv verkörperter, aberwitzig ausgefranster Klage-Monolog eines zwischen Sein und Schein, Wahrheit und Wollen verirrten Kabarettisten. Zutiefst unzufrieden mit sich und der Welt rückt er den frustrierenden Fakten mit hemmungslosen Hirngespinsten und hoffnungsvollen Utopien zu Leibe. Und verliert damit sukkzessive auch die letzten Reste seiner Bodenhaftung. Tragisch, komisch, gut.
- Termine : 27.11. Cselleymühle, Oslip / 28.11. Kaisermühlner Werkl, Wien / 29. & 30.11. Theater am Alsergrund, Wien / 7. – 9.1.10 Theater Drachengasse, Wien
0 comments on Allein gegen Raum und Zeit