Mit Musen schmusen, auch abstrusen …
Severin Groebner – “Lauter liebe Leute”
“Wenn ich könnte, wie ich wollen würde, würden Wachteleier wild vibrieren.”
kabarett.at / 20. September 2005
Wer glaubt, Severin Groebner zu kennen, wird immer wieder überrascht. Und zwar erfreulicherweise aufs Angenehmste. “Lauter liebe Leute” ist nämlich fast so etwas wie die Antithese zu der wuchtigen Epik seines letzten Programms “Ganz im Ernst”. Damals spielte der Text die Hauptrolle. Und fast alle Nebenrollen. Am Anfang war das Wort, am Ende war das Wort – und dazwischen waren ganz viele Worte. Zusammen bildeten sie drei zu einem immer wieder aus allen Nähten platzenden Programm verschraubte Erzählstränge. Eigentlich waren es drei Programme in einem, wie so manch Besucher am Ende beglückt aber erschöpft konstatierte. Eine beeindruckende Kopfgeburt, bei der es des Autors Schädel mehrfach zerrissen haben dürfte. Kurz gesagt : ein recht komplexes Kleinkunstwerk. Und ein weiterer feiner Beleg dafür, dass Amusement und Anspruch auf einer Kabarettbühne sehr fruchtbar miteinander ko-existieren können.
Alles ganz anders
Letzterem Credo bleibt Groebner in “Lauter liebe Leute” (Regie : Nele Dick) selbstverständlich treu. Alles andere aber ist anders. In Severin Groebner ist offenbar die Lust am Spielen wieder erwacht. Darum verzichtet er kurzerhand auf jeglichen komplizierten Überbau. Statt dessen präsentiert er fast schon ein Nummernkabarett – würden sich nicht alle Nummern am gleichen Ort und unter gleichen Bedingungen abspielen : an einer Bushaltestelle, an der aus unerfindlichen Gründen ein Mikrofon steht. Ein für mitteilsame Passanten unwiderstehliches Gerät. Also sprechen und singen sie nach Herzenslust hinein.
Das Ergebnis erinnert an eine ungescreente Ausgabe von “Talk Radio”. Also eine Phone-In-Sendung ohne redaktionelle Vorauswahl. Jeder, der glaubt, etwas zu sagen zu haben, ruft an – und kommt auf Sendung.
Die zwei wesentlichsten Spannungsmomente sind die gleichen. Erstens : Wer ist der Typ der da gerade redet ? Was will er mir sagen ? Zweitens : Wer kommt als nächstes ? Alles ist möglich. Vom Kleinkind bis zum Psychopathen. Und irgendwann kommen sie alle.
Groebner spielt seine Typen authentisch. Überzeichnungen sind nicht nötig. Es gibt sie ja alle. Höchstens nicht alle an der selben Bushaltestelle. Aber ist die Bushaltestelle als Ort des Innehaltens und des Wartens nicht ohnedies nur eine Metapher für … egal.
Friseure und Fremdenführer
Fünfzig Szenen reiht Groebner auf diese Art und Weise aneinander. Manche dauern 5 Minuten, andere nur 5 Sekunden. Rund drei Dutzend verschiedene Figuren lässt er zu Wort kommen. Verbal und körpersprachlich markant gezeichnet. Manche dienen ihm dabei nur als Transportmittel origineller Gedankenfetzen. Über den fürchterlichen Wortwitz von Friseuren (“Haar-Monie”, “GmbHaar”), die Penetranz peruanischer Panflöten-Combos (“Die Rache der amerikanischen Ureinwohner an den europäischen Eroberern!”) oder die paradiesischen Aussichten von Selbstmordattentätern : “70 Jungfrauen ? Das ist ja wie ein Klosterschulausflug in alle Ewigkeit. Also die Hölle !”
Andere leben von ihrer phänomenologischen Originalität : Ein Fremdenführer, der alles schiach findet. Ein im Fahnen-Import-Export tätiger Krisengewinnler. Ein Fleischhauer mit Herz. Ein erklärter Feind der Gotik. Ein anständiger und fleißiger Gastarbeiter. Ein vereinsamter Fußballfan. Ein tatenloser Hektiker. Ein rythmischer Worthülsen-Stammler. Ein Verbalisierungsgegner. Und ein Hobby-Poet mit Hang zu saftig-sündigen Almen: “Du zupfst Dir einen Enzian / I tupf derweil die Zenzi an.”
Zugegebenermaßen nicht die geschliffenste Perle des Programms. Aber inmitten der pointiert gewürzten Parade gescheiter Ideen und gewitzter Formulierungen tut ein wenig bodenständige Rohkost ganz gut. Und außerdem werden Perlen nicht geschliffen.
“Nanu, wer bist denn du ?”
In Summe ergibt das eine hochgradig unterhaltsame Typen- und Milieustudie, die in ihrer schnellen Schnittfolge fast schon an Reality-TV gemahnt. Natürlich aufgewertet mit Groebners bekanntermaßen vielfältigen künstlerischen Mitteln. Einerseits äußerlich : schauspielerisch, musikalisch, stimmlich und mimisch. Andererseits innerlich : mit seiner offenbar unerschöpflichen inhaltlichen Kreativität, seiner poetischen Phantasie und seinem Gespür für das Wesentliche. Das ist alles schon mal gesagt und geschrieben worden, aber so komprimiert, wie in dieser 1-Personen-Kleinkunstmesse, hat er seine Qualitäten noch nie präsentiert. Gewissermaßen Groebner reduced to the max. Da kennt dann die Kurzweil 100 Minuten lang keine Grenzen.
Als Auftakt und Finale dient dem Künstler der sehr persönliche, oxymoronische Selbstsuchungs-Rap mit dem Titel “Nanu, wer bist denn du ?”. Ein Stakkato der Widersprüchlichkeiten, das zwangsläufig in Wortlosigkeit mündet.
Wie meinte ein Premierengast so treffend : Wir werden wohl irgendwann unsere Enkelkinder damit langweilen, dass wir immer wieder stolz davon erzählen, Severin Groebner schon gesehen zu haben, als er noch im kleinen Saal des “Theater Drachengasse” gespielt hat.
Ach ja : Dass er beim Titel seines neuen Programms der Verlockung der Alliteration erlegen ist, sei ihm verziehen. (pb)
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