Last Exit Spaßgesellschaft
„Dörte hat jetzt zugegeben, sie onaniert auf Andreas Baader.
Das ist der Rubbelmann für das Mittelmaßgeschwader.“
kabarett.at 10/2007
Wenn er leicht vornüber gebeugt mit großen Schritten und dem Blick zu Boden über die Bühne stapft, wirkt er fast schon mitleiderregend. Und mit seiner in matschigen hellbraun gehaltenen, nicht besonders vorteilhaften Kleidung unterstreicht den Eindruck der Schutzbedürftigkeit noch. Äußerlich gibt es also kaum ein Anzeichen, dass es diese wenig imposante Gestalt aber sowas von faustdick hinter den Ohren hat. Aber wehe, wenn er den Mund aufmacht!
Denn Rainald Grebe (36) zählt zu dem sehr überschaubaren Grüppchen jener mit dem blöderweise etwas in Misskredit geratenen Begriff „Liedermacher“ zu kategorisierenden Künstler der jüngeren Kabarett-Generation, die ihrem Genre eine zeitgemäße, womöglich sogar zukunftsweisende Facette abzugewinnen im Stande sind. Kein Zufall, dass sein Lied über den Stiftung-Warentester Bernd musikalisch stellenweise frappant an den Heidegger-Rap von „Pigor & Eichhorn“ erinnert.
Grebe singt Lieder, in denen mit Intelligenz und geistreichem Witz nicht gespart wird. Genaue Beobachtungsgabe gehört natürlich in die Startbox eines jeden Gesellschafts-Satirikers, aber so genau um die Ecke schauen zu können, wie Grebe, davon können die meisten nur träumen. Und spätestens beim Versuch, das Gesehene in eine poetisch adäquate Form zu bringen, trennt sich die Spreu vom Weizen.
Wenn Grebe das gemeinsame Abendessen zweier 30-jähriger Pärchen besingt, wird die saturierte und selbstgefällige Langeweile förmlich spürbar. Der Höhepunkt des Tages sind selbst gemachte Sushi – „Kompliment, Klaus“ – und das Gespräch dreht sich um Ikea-Möbel. Monoton wiederholt Grebe den vielleicht sinnvollsten Satz des Abends : „Reich mir mal den Rettich rüber.“ Jämmerlich.
Und früher (oder woanders ?) war es um keinen Deut besser. Da bestand der spießige Kleinfamilientraum aus Reihenhäusern, selbst getöpferten Namensschildern und zwei Kindern, die beide vom gleichen Vater waren. Grebe widmet dieser konservativen Idealvorstellung die Hymne „Wir sind das Herz von West-Deutschland“. Und da ist sie dann wieder : diese für Grebe so typische, weil unterschwellige Heimtücke. Ohne näher darauf einzugehen, baut er die Mauer wieder auf. Und damit volksmusikalische Ausgewogenheit herrscht, hat er auch für den Osten eine Hymne parat : „Brandenburg“. Ein Landstrich, der außer Lebensmüdigkeit gar nichts zu bieten hat. Da lobt er sich doch „meine kleine Stadt“, in der man die Lebensqualität an der Zahl der Fahrradständer misst. Ganz anders in Annaberg-Buchholz in Sachsen : „Ich stell mich einfach da zwei Stunden an die Straße. Und dann weiß ich : Depressionen müssen gar nicht teuer sein.“
In „Volksmusik“ geht es Grebe um das Entlarven vermeintlicher Idyllen. Über die individuelle Einsamkeit, die hinter dem gemeinschaftlich praktizierten Frohsinn lauert. Die verzweifelte Selbstgefälligkeit der Wohlständischen, die längst keinen Sinn mehr suchen. Und nicht zu vergessen, das Leid der unlängst wiederentdeckten Gomera-Riesen-Eidechse, die statt einem Zuchtprogramm unterzogen zu werden am liebsten nur aussterben möchte.
Und natürlich gehört bei jedem Auftritt seiner österreichischen Neulandgewinnungs-Tour auch ein gutes Stück Best-of-bisher dazu. Wie beispielsweise sein Hit für Frau „Dörte Becker“, der – wie auch schon unlängst bei seinem Auftritt im Radiokulturhaus – mit spontanem Freudengeheul seiner Fans begrüßt wurde und textlich in der hübschen Beleidigung gipfelt: „Du bist der Ausweg aus der Spaßgesellschaft.“
Rainald Grebe, dieser subversive Schalk, ist indes ein sehr exklusiver Wanderweg am Rand der Spaßgesellschaft. Einer mit schwierigen Klettersteigen, erhellenden Aussichtspunkten und ein paar herrlich unsinnigen Serpentinen. Und natürlich keine Sekunde langweilig.
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