Virtuose Waghalsigkeiten
Der Standard 02/1998
Der Programm-Flyer verheißt Bach, Heine, Schubert und Kleist. Na, großartig. Da wollen sicher wieder ein Schauspieler („Eurocops“) und ein Pianist beweisen, dass sie bisweilen auch Lyrik lesen, und machen einen auf wertvoll. Und überhaupt: „Engel im Kopf“! Ein Titel mit selbsttätigem Pseudo-Poesie-Vorwurf.
Erwartungsgemäß der Programm-Beginn: „Ave Maria“ im Halbdunkel. Dann ein Gedicht über Blumen. Und gerade, als man sich in jene traurige Trance begeben möchte, mit der man üblicherweise derartige Goethe-Instituts-Abende zu überstehen vermag, schmeißt der eine ge-Ball-te Lautmalereien von der Bühne, während der andere die Cartwrights durch den „Hoch soll er leben“-Trauermarsch galoppieren lässt. Und plötzlich geht die Post ab: Kindervers und Kunstlied, Schüttelreim und Schabernack, Waldeinsamkeit und Wortwitz. Erhebendes und Erheiterndes aus Klassikern und Klowand, kurzweilig komprimiert. Pausenlos prallen poetische Welten aufeinander. Und das – dank der Kunst der Interpreten – ohne affrontale Unfälle zu verursachen. Denn Wolfram Berger beherrscht das Repertoire der kleinen Gesten und der großen Gefühlen, des leisen Witzes und der lauten Dramatik. Selten affektiert, aber oft mit einer selbstironischen Inbrunst, die auch vor dem vorübergehend in puffrotes Spott-Licht getauchten – zur ständigen Einrichtung des Spektakels zählenden – „Salzburger Stier“ nicht Halt macht, dessen Vorjahrs-Kollegen der Grazer Berger – für die Schweiz – mit nach hause nach Basel nehmen konnte.
Berger gelingt das, woran schon so viele gescheitert sind: innerhalb nur weniger Bühnenminuten überzeugend zu belegen, dass das Feld der „Mutter – Butter“-Reime nicht den Helge Schneiders und jenes berührender Sinti-Lieder nicht den Betroffenheitsheischern überlassen werden darf. Virtuos versteht er es, seinen Spielraum zwischen höherem Blödsinn und tieferen Einsichten, zwischen Klamauk und Melancholie auszureizen, ohne jemals über die Stränge zu schlagen. Droht das Selbstmitleid kontert er mit einem „lamento interruptus“, zeigt die Zote von fern ihre Grimasse, ist er schon längst auf der Abfahrt ins Absurde. Oder nach Dada.
Ein Schalk mit Degen und Diwan, der bis zur relativen Selbstentäußerung über die Bühne tänzelt, trappst, torkelt und turnt. Wobei ihm der dritte Mann und Alexis Sorbas durchaus in der Mondschein-Sonate begegnen können. Markus Schirmer ist der regelungerechte Flügelstürmer, der im Vorbeiklimpern Adelines Ballade hinrichtet und beim „Brunnen vor dem Tor“ nur Bahnhof – und das auf arabisch – versteht. Fazit: Wie im Flug vergeht ein Abend, der aufs Angenehmste überrascht. Immer wieder. Eine Empfehlung.
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