Verhängnisvolle Fokusverschiebungen
Falter 02/2023
Aus pandemischen Gründen durfte das aktuelle Solo des fränkischen Kabarett-Cholerikers Matthias Egersdörfer über ein Jahr lang vor sich hin reifen, sich setzen, klären und sein volles Aroma entwickeln, bevor es erstmals auf der Bühne belüftet und ausgeschenkt wurde. In „Nachrichten aus dem Hinterhaus“ (Regie: Claudia Schulz) geht es um die Nebenwirkungen des Lebens im Lockdown, um die verordnete Entschleunigung und ihre Folgen für unsere Wahrnehmung der Umwelt. Abermals schlüpft Matthias Egersdörfer dazu in seine Paraderolle eines Gefühlsmenschen mit eingeschränkter Impulskontrolle. Eine in jahrelanger Feinarbeit geschliffene und humoristisch auf Hochglanz polierte Kunstfigur: sehr empfindsam und entsprechend leicht erregbar.
Ungewohnte Blickwinkel, Beobachtungen und Begegnungen bescheren ihr diesmal nicht nur unliebsame Erkenntnisse über die Nachbarschaft, sondern konfrontieren sie auch mit ihren eigenen Dämonen. Virtuos bedient Egersdörfer bei diesem schrägen Ritt bis in die verstecktesten Winkel seiner Seele die humoristische Klaviatur zwischen brachial und behutsam, beherzt und bitterböse. Die intensive Verkörperung seiner Kabarett-Kreatur gerät ihm dadurch zu einer ebenso fesselnden wie atemberaubend komischen Charakter- und Gesellschaftsstudie.
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