Die Würde des Menschen ist ein Scheißdreck
Falter 04/2014
Da ging es ganz schön rund im Boulevard, als Matthias Egersdörfer vor zwei Jahren in der Raab-Show „TV-Total“ eine Kostprobe des Kabarett-Stücks „Carmen … oder die Würde des Menschen ist ein Scheißdreck“ zum Besten gab. Das sei „jenseits des guten Geschmacks“, befand ausgerechnet die für ihre Geschmackssicherheit bekannte „Bild“-Zeitung. Das Zentralorgan des gesunden Volksempfindens sorgte sich gar um die Sympathiewerte des Künstlers: „Ob er sich mit diesem Auftritt einen Gefallen getan hat?“, denn „was lustig sein sollte, ging voll in die Hose“. Alle Achtung. Nicht viele Kabarettisten können sich einen Verriss in der „Bild“ auf die Fahne heften.
„Carmen“ erhitzt die Gemüter und scheidet die Geister. Auch abseits massenmedialer Comey-Showbühnen. Sogar Kleinkunstbühnen-Besucher verlassen bisweilen vorzeitig und fassungslos die Vorstellung. Denn Egersdörfer geht in diesem Stück noch ein paar schmerzhafte Schritte weiter als in seinen bisherigen Soloprogrammen, in denen er auf sehr glaubwürdige und hochkomische Weise einen übel gelaunten und bei Bedarf auch Zuschauer heftig beleidigenden Choleriker verkörpert.
Das zusammen mit zwei langjährigen Theaterkollegen erarbeitete Stück „Carmen“ ist da noch viel perfider: Als selbstgefälliges Chauvi-Schwein nötigt er darin seine von ihm abschätzig als Lebensabschnittsgefährtin titulierte Gattin (Claudia Schulze) und seinen schwulen Nachbarn (Andy Maurice Mueller) auf die Bühne, um sie schamlos vorzuführen.
Das Publikum muss hilflos zuzuschauen, wie er frauenfeindlich und homophob, höhnisch und brutal mit ihnen umspringt. So richtig sympathisch, makel- und mackenlos sind seine beiden Opfer zwar auch nicht, aber eine derartige Entwürdigung hat niemand verdient.
Dazu kommt noch der Tonfall dieses etwas beschränkten Widerlings: Gegenüber Carmen ist er anherrschend, herablassend, überdeutlich und laut. Die Art und Weise, wie Gerhard Polt einst mit seiner „Mai Ling“ umsprang, war vergleichsweise von Respekt und herzlicher Zuneigung geprägt. Zumindest von ehrlichem Besitzerstolz. Für Carmen und seinen Nachbarn, den er wie ein Exponat aus einer Freakshow präsentiert, hat Egersdörfers Kreatur aber nur Verachtung und Spott übrig.
Dem Publikum kommt er dabei stets verbrüdernd, anbiedernd und jovial. Als säßen dort nur Stammtischkollegen, deren schulterschlüssiger Zustimmung er sich bei der mitmenschenverachtenden Abkanzelung und Anprangerung von Frauen und Homosexuellen gar nicht mehr rückzuversichern braucht. Da hört dann der Spaß für Viele auf. Dabei birgt genau dieser Effekt einen bitterbösen Humor, der in derartiger Intensität und Konsequenz nur selten im Kabarett zu erleben ist.
„Carmen“ ist eine in ihrer Wirkung exakt komponierte, entlarvende Gratwanderung über menschliche Abgründe, seelische Misshandlungen, gesellschaftspolitische Mechanismen und heimtückische Manipulationen. Harter Tobak. Wem das noch nicht als das Ende der Fahnenstange erscheint, kann sich schon jetzt auf März 2015 vorfreuen. Da steht dann die Premiere des ersten gemeinsamen Programms von Matthias Egersdörfer und Martin Puntigam an. Das wird erst lustig.
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