Kleiner Prinz muss speiben
Ein weiteres Kleinkunststück aus der wuchtelfreien Zone: „Früher gab’s bei Blackouts immer Applaus …“
kabarett.at 03/2006
Beginnen wir mit der unüberhörbaren message: Wir müssen lernen, uns gegen den Konsum-Terrorismus der Großkonzerne zu wehren. Denn der Wahnsinn hat natürlich Methode. Zuerst werden vermeintliche Bedürfnisse geweckt. Dann wird der Markt bis zur Übersättigung mit Bedürfnisbefriedigern überschwemmt. Und weil der somit erfolgreich angezettelte – „Wer Prospekte sät, wird Profit ernten“ – Konsumrausch nicht dazu geeignet ist, die Käufer zu nachhaltig zufriedenen Menschen zu machen, wird auch die Nachbetreuung der Konsumkater-Opfer zu einem florierenden Wirtschaftszweig ausgebaut : mit Ablenkungs- und Freizeit-Industrie, Esoterik-Quacksalbereien – und allerlei Lebensberatern, die uns das ganz große Glück verheißen.
Pyramidenspiel zur Lebensfreude
Bei Roland Düringer kommt dieser selbstverständlich selbstlose Retter in der Not in der unheilvollen Gestalt des Seelenberaters Louis DeVille daher. DeVille wie Devil. Kein Zufall also, dass dieser Vertreter der Firma „P.H.I.“ (Perfect Human Individual) eine ähnlich beklemmende Aura versprüht, wie Al Pacino in „Im Auftrag des Teufels“. Durchgestylt von Kopf bis Fuß – von den roten Schlangenlederstiefeln bis zu den gefährlich blitzenden Schlangenaugen – verspricht er dem Publikum Wohlstand, Ansehen und ganz generell Glückseligkeit bis in alle Ewigkeit. Und das gratis! Solange es genug andere Menschen gibt, auf deren Kosten es sich die Privilegierten gut gehen lassen können – prima. Willkommen im Pyramidenspiel zur Lebensfreude.
Des Teufels Improvisationskunst
Der in seiner ganzen Widerlichkeit durchaus stimmungsvolle Verkaufs-Vortrag dieses Seelenfängers nimmt die gesamte zweite Hälfte von „Düringer ab 4,99“ ein. Mutig mischt sich Düringer dabei unter seine Kundschaft. Und stößt dabei gelegentlich auch an die Grenzen des Stegreifspiels. In einer charakterlich exponierten und elaborierten Figur spontan sein zu müssen, ist natürlich eine viel größere Herausforderung für den Schauspieler, als in der Fleisch-und-Blut-Rolle Roland Düringer mit seinen Fans Regenerationsabende zu improvisieren.
Kleiner Prinz mit Drehwurm
Dabei ist ihm dieses ureigene Rollenbild ja auch nur von Louis DeVille verpasst worden, um ihn berühmt zu machen. Und damit wären wir in der ersten Hälfte des Programms. Der ursprüngliche Roland Düringer war nämlich in Wahrheit ein Döblinger Schnösel. Zum Hinterholzacht-Häuslbauer, Benzinbruder und zweifachen Stadthallenfüller – also zur „Marke Düringer“ – ist er erst durch die Gehirnwäsche des teuflischen Verlockers geworden. Dabei hatte ihn doch schon sein Großvater vor dem Seelenberater gewarnt. Aber da war er noch ein kleines Kind – und ist bei den Gute-Nacht-Geschichten des Opas leider immer zu früh eingeschlafen. Während dem unaufhörlich kreisenden, kleinen Prinzen in der Lichtbild-Lampe, der schon immer wusste, dass es nur auf das Herz ankommt, langsam aber regelmäßig schlecht geworden ist.
„Mit den Stars aus Muttertag“
„Düringer ab 4,99“ zerfällt in zwei Hälften, die unterschiedlicher nicht sein könnten : den weitgehend linearen Auftritt von Louis DeVille im zweiten Teil – und ein schauspielerisch vielschichtiges und technisch derartig opulentes Furioso vor der Pause, dass man über eine Stunde lang aus dem Staunen fast nicht mehr herauskommt. Auf zwei großen Leinwänden gibt es laufend Werbebotschaften, rasant montierte Videoclips und amüsante Zuspielungen – u.a. mit den in den betont marktschreierischen Werbeprospekten für das „megalustige und supergünstige“ Programm groß angekündigten „Stars aus Muttertag“ Alfred Dorfer, Reinhard Nowak, Andrea Händler und Eva Billisich.
Dürflingers Klopapierrolle
Auch für virtuelle Zwiegespräche kommt die aufwändige Technik zum Einsatz: Hofnarr „Dürflinger“ versucht „König Kunde“ Düringer davon zu überzeugen, dass eine Klopapierrolle die bessere Kamera und das Gehirn der beste Speicher für schöne Bilder ist. „König Kunde“ kauft sich trotzdem lieber eine Digicam. Um hinkünftig alle Details seines Lebens festhalten zu können, ohne sie sich merken zu müssen.
Technisch neue Maßstäbe
Damit noch nicht genug der Finessen. Natürlich sind die Beamer auch mit einer Kamera auf der Bühne gekoppelt, die Düringer wahlweise auf sich oder das Publikum richtet – und somit ganz neue Perspektiven eröffnet. Eine im hinteren Teil des Saals montierte Box lässt überdies Stimmen aus dem Publikum laut werden. Ein enormer technischer Aufwand also. Christian Clementa sorgt dafür, dass er fehlerlos und exakt funktioniert – was in der sogenannten Kleinkunst ja leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.
Aufwand und Wirkung
Wie immer ist es eine Freude und Faszination, den Schauspieler Roland Düringer bei der tadellosen Ausübung seines Berufs zu beobachten. Fast ein Jahr hat die Vorbereitungszeit für dieses abermals mit „Wuchteln“ höchstens zart durchsetzte, aber raffiniert konstruierte und munter auf den Realitätsebenen herumturnende Kleinkunststück gedauert. Hut ab. Das tut sich – nicht nur in der Kleinkunstszene – außer Düringer hierzulande niemand an. Trotzdem – oder gerade deshalb – muss sich „Düringer ab 4,99“ die Frage nach dem Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung gefallen lassen. Und da schaut es dann schon etwas trauriger aus. Außer man versteht das Gesamtkonzept der opulenten Verpackung für einen vergleichsweise unspektakulären Inhalt als besonders doppelbödig gelungenen Bestandteil der Kritik an den Marktmechanismen unserer bunten Warenwelt. Überspitzt formuliert: Von der Aussage her bietet „Düringer ab € 4,99“ nicht viel mehr, als das 1-minütige, überdrehte „Kaufen, kaufen, kaufen!“-Gezeter von Alf Poier am Ende von „Mitsubischi“.
Spaß und Liebe
Das könnte man so stehen lassen … würde einen nicht im Verlauf des Stücks das Gefühl beschleichen, dass Roland Düringer hier auch sehr radikal mit sich selbst und seiner Geschichte ins Gericht geht. Dass er mit „Düringer ab 4,99“ seinen persönlichen Aufstieg zu einem der zugkräftigsten Entertainer des Landes und die ständigen – teils erfolgreichen – Versuche seitens der gewissenlosen Gewinnmaximierer, sich diese Popularität zunutze zu machen, psychodramatisch aufarbeitet. Inklusive seiner Rückbesinnung auf die wahren Werte im Leben: „Spaß und Liebe“. Könnte doch sein. Aber damit erntet man bestimmt wieder den Vorwurf, man sei offenbar nicht dazu im Stande, die Bühnenfigur von der realen Person zu trennen …
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