Das Schweigen der Schäfchen
Alfred Dorfer & Band – „fremd”
„Nicht mehr das Erreichte zählt – sondern das Erzählte reicht.“
kabarett.at / 9. April 2006
Mit einer Netto-Spielzeit von gerade einmal 80 Minuten liegt der zeitliche Rahmen von „fremd“ nur knapp über der Mindestanforderung für ein abendfüllendes Kabarett-Programm. Inhaltlich verbessert es dafür ein ums andere Mal die bisherige Bestmarke auf der beidseitig offenen Skala für intelligente Unterhaltung.
„fremd“ ist ein assoziativer Slalom durch die Weltgeschichte. Vom Turmbau zu Babel über die historische Westerweiterung mit der Mayflower bis zu 9/11. Ein vorsätzliches Durcheinander der Geschehnisse und Gedankenausflüge. Denn das Chaos als Kulisse hat Prinzip. In ihm spiegelt sich die Realität schärfer und ehrlicher, als sie das beispielsweise in einem dramaturgisch stringenten Handlungsstrang könnte. Schließlich sind wir das ganze Leben lang damit beschäftigt, höchst inhomogen auf uns einprasselnde Sinneseindrücke zu ordnen und zu verarbeiten. Der wichtigste Unterschied zur Wirklichkeit besteht – zumindest für Agnostiker – darin, dass es Einen gibt, der zu jedem Zeitpunkt ganz genau weiß, wie es weiter geht – und wohin er mit uns will: Alfred Dorfer, scharfsinniger Satiriker und Philosoph im Gewand eines Kabarettisten.
Lustig – aber sinnlos
Um all jene Ansätze und Ansichten unterzubringen, die ihm wichtig sind, entwickelt er sich in der ersten Programmhälfte drei zusätzliche, fast schon allegorische Facetten seiner Selbst: die Aufklärung, die allen Fragen mit Wissen begegnen möchte, den Zwischenmenschen, der immer nur Verständnis statt Verstehen hat, und den gewissenlosen Macht- und Mammon-Maximierer, der die Wirtschaftskraft der Schweiz auf die verspätete Einführung des Frauenwahlrechts zurückführt.
Eine funktionelle Konstruktion, die ihm abwechslungsreiche und ansatzlose, provokante und pointierte Perspektiv-Sprünge ermöglicht – und dem Publikum eine Fülle von wiedererkennungswertvollen Andock-Gelegenheiten eröffnet. Seine ureigene Funktion als Polit-Kabarettist karikiert er in der Figur des Raika-gesponserten ÖVP-Entertainers, der sich nach der bevorstehenden rot-grünen Wende über Gusenbauer und Van der Bellen lustig macht: „Endlich eine Regierung, der man die Unfähigkeit auf den ersten Blick ansieht.“ Damit ist für ihn das Thema Parteipolit-Kabarett abgehakt: „Es erleichtert – aber es ist komplett sinnlos.“
Kontrapunkte und Vorzeichenfehler
Das Wesen des Österreichers handelt er mit zwei zeitlos treffsicheren Rückgriffen auf die österreichische Kleinkunstgeschichte ab: „Bei mia sads olle im Oasch daham“ (Heller) und „Olle Menschen samma zwida“ (Sowinetz). Unterstützt wird er in „fremd“ in gewohnter Weise von seiner 4-köpfigen Band. Peter Herrmann, Lothar Scherpe und Günther Paal auf der Bühne – und Robert Peres an der Technik, ohne dessen Stimme die Chöre deutlich dünner klängen. Paal liefert überdies wieder einige seiner grandios verschraubten und oftmals in sich völlig schlüssigen, wissenschaftlichen Argumentationsketten – mit schweren Vorzeichenfehlern. Wirkten diese Paal’schen Perlen in „heim.at“ noch mehr wie Kontrapunkte oder vorsätzliche Fremdkörper, fügen sie sich in „fremd“ fast nahtlos ins Programm ein.
Freiheit, Demokratie und Bilderflut
Zentraler Ankerpunkt für alle Exkurse ist der Begriff „Freiheit“. Unsere vermeintliche Meinungsfreiheit demonstriert er anschaulich am Prinzip der aus der Konserve zugespielten Lacher. Eine Bevormundung, die der Veranstaltung und vor allem dem Künstler Sicherheit gibt – und dem Einzelnen nur ein klein wenig Freiheit nimmt. Ganz so, wie bei Anti-Terror-Maßnahmen.
Auch die Freiheiten, die uns die Demokratie einräumt, unterzieht Dorfer einer systemkritischen Analyse. Wer zur Wahl eines eigenen Publikumsvertreters zu langsam ist, bekommt einen Vertreter vorgesetzt. Wenn sich dieser „Richard III“ wünscht, spielt Dorfer eine Szene, die vielleicht ein wenig von Shakespeare sein könnte. Wer weiß das schon so genau. Aber wer würde es wagen, es in Frage zu stellen ? So funktioniert Mitbestimmung. Das Schweigen der Schäfchen ist die Macht der Wölfe.
Dass auch unsere Gedanken nicht so frei sind, wie wir oft glauben, belegt er mit ausgewählten Bildern, die er auf eine Leinwand projizieren lässt. Oft werden sie nur ein paar Sekunden lang eingeblendet. Lang genug, um ihre Wirkung zu entfalten. Denn ein Bild sagt ja bekanntlich mehr als tausend Worte. Und ein einprägsames Bild beeinflusst unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit nachhaltig – und gemeinerweise zumeist unterbewusst. Diese verhängnisvolle Macht der Bilder führt poetisch in die Halbzeitpause: „Wenn es von allem ein Bild gibt, hat die Vorstellung Pause.“
Programm mit Bedienungsanleitung
Diese seine inhaltlichen Schwerpunkte und angepeilten Programmziele hat Alfred Dorfer im Vorfeld der Premiere in Dutzenden Interviews erläutert. Nachdem er noch nie etwas dem Zufall überlassen hat, steckt natürlich auch hinter dieser Auskunftsfreude ein gewisses Kalkül. Der Zuschauer (und der Kritiker) weiß schon vor Pogrammbeginn, worum es dem Künstler geht. Er sieht das Programm mit entsprechend voreingenommenen Augen und Ohren. Und er versteht mehr – oder er glaubt zumindest, mehr zu verstehen und mehr herauslesen zu können – als wenn er dem Programm völlig unvorbereitet begegnen würde. Dorfer hat dem Betrachter gewissermaßen den roten Faden in die Hand gedrückt, an dem er sich in seinem labyrinthischen Kleinkunstwerk orientieren soll.
Ein kurzer Vergleich mit „Hader muss weg“. Außer eines stereotypen Trailer-Satzes ließ Josef Hader damals vorab nichts über sein neues Solo verlauten. Im Premieren-Publikum machte sich – neben der gebührenden Bewunderung – daher auch Ratlosigkeit breit. Ein „Was will er ?“, das sich in fast allen Kritiken wieder fand. Hätte er seine inhaltlichen Motive vorab medial lanciert (und diesbezügliche Anfragen gab es gewiss Dutzende), wäre gewiss vielerorts von einer „höchst raffinierten Parabel“ die Rede gewesen. Aber das nur nebenbei.
Erheiternd und erhellend
Doch das soll die Qualität der Darbietung in keiner Weise schmälern. „fremd“ ist ein sehr unterhaltsames und verdammt kluges Programm, in dem Dorfer nur selten etwas selbstverliebt an der Grenze zur Obergscheitheit schrammt. Im Vordergrund steht seine unnachahmliche und mittlerweile wohl zur Perfektion gereifte Fähigkeit, komplexe Inhalte, die man nie auf einer Kabarettbühne vermutet hätte, so entspannt und amüsant zu präsentieren, dass das Zuhören zu keinem Zeitpunkt anstrengend oder gar ermüdend wird. Im Gegenteil.
Sein fünftes Solo endet mit seiner Geburt – „Wer einmal im Kreis gegangen ist, sieht den Anfang von hinten“ (Paal) – und mit einem privaten, sonnenuntergangsstimmungsvollen Urlaubs-Video-Zusammenschnitt. Denn schlussendlich sind es ja nur die ganz persönlichen Bilder, die lebenssinnig zählen. Dass im Fall von Alfred Dorfer das eine oder andere schon im Kino („Freispiel“, „Ravioli“) zu sehen war, tut nichts zur Sache. Auf den ersten Blick kommt es an.
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