Artist in Renitenz
Der deutsche Kabarettist Matthias Deutschmann gastiert als artist in residence bei den Wiener Festwochen
Der Standard 05/1997
Bestünde die unvermeidliche Notwendigkeit, das deutsche Kabarett mit jenem Österreichs zu vergleichen, behülfe man sich vermutlich vorerst mit der Formulierung zweier Unterscheidungsmerkmale:
1.) Dank einer von Tucholsky vorgenommenen Begriffs-Entwirrung – die ihren Weg nicht bis nach Wien gefunden hat – heißt jene gehobenere Kleinkunstform, die hierzulande zwar Kabarett geschrieben, aber Kabareh ausgesprochen wird, in Deutschland tatsächlich Kabarett – mit deutlich hörbaren Schluss-Konsonanten. Wohingegen jenes oftmals spärlich bekleidete Tanz-Amusement, welches sich auf öster-reichisch schamhaft nur schriftlich – als Cabaret – zu erkennen gibt, in unserem sprachverwandten Nachbarland eindeutig Kabareh genannt wird.
2.) In Deutschland bedient sich ein kleiner aber bemerkenswerter Teil der Kabarettisten eines politischen Stils, der in unseren Breiten mit dem langjährigen Abschied von Werner Schneyder weitgehend ausgestorben scheint. „Wahrscheinlich deshalb“, vermutet Matthias Deutschmann mit begnadeter Treffsicherheit, „weil die Angst umgeht, von der Kronenzeitung als Nachfolger Werner Schneyders ausgerufen zu werden.“
Deutschmann ist einer jener kargen Querdenker, deren kehlige Trockenheit ihn zu einem derartig unverschleimten Witz befähigt, dass selbiger ungebremst bis tief unter die Haut des denkwilligen Teils des Publikums zu gehen und dort entsprechend unverblümte Reaktionen zwischen empörter Betroffenheit und lautstarkem Amusement hervorzurufen vermag. „Ein Radikaler in Anliegen und Sprache“, formulierte die Jury des Nürnberger Burgtheaters, als sie ihm vor fünf Jahren den Deutschen Kabarettpreis zuerkannte (im Vorjahr erhielt er außerdem in Mainz den Deutschen Kleinkunstpreis), „der auf einem anachronistischen Ernst beharrt.“
Trotz der inzwischen schon mit einer bedrohlichen Kammhöhe gesegneten Spaßwelle bleibt Deutschmann diesem Stil treu: bitter und böse, protestantisch und hampelfrei, und sich ständig – in Anlehnung an den Stil eines Wolfgang Neuss – mit seinem Publikum auseinandersetzend. Seine größten Qualitäten liegen dabei in seiner beklemmenden Irritationsfähigkeit und humoristischen Überzeugungskraft, die vor allem daraus resultieren, dass er mittels seines immensen Wissens und scharfen Geschichtsverständnisses jeder seiner Pointen ein unerschütterliches Fundament zu ver-schaffen vermag.
Dass er bislang auf Österreichs Bühnen nicht in Erscheinung getreten ist, liegt wohl vor allem daran, dass sich die Solo-Programme des 39-jährigen Freiburgers doch zu großen Teilen mit derartig deutschen Interna beschäftigten, dass ihnen grenzüberschreitende Wirksamkeit vermutlich versagt geblieben wären. Doch für autobiographisch gefärbte Dramolette o.ä. ist einem Deutschmann, der den Fall der Berliner Mauer am Checkpoint Charly ebenso hautnah miterlebte, wie den anschließenden linken Vereinigungskater, die Kabarettbühne zu schade: „Mein Name ist mir Auftrag und Verhängnis zugleich.“
Seine „fünf kleinen Nachtangriffe“ im Schauspielhaus unter dem Titel „Wenn das der Führer wüsste …“ – hierzulande besteht wohl kaum Verwechslungsgefahr mit seinem gleichnamigen Solo-Programm aus dem Jahr 1993 – definiert der manchmal zynische, manchmal melancholische, aber immer beherzte Kabarettist als fünfteiliges Werkschau-Kondensat, als Resümee seit 1989 – unter Einbeziehung Österreichs: „Es geht mir – aus einer naturgemäß deutschen Perspektive – um die Situation eines Staates zwischen Europa und Isolation.“
Dabei maßt er sich – trotz mehrerer intensiver Wien-Aufenthalte in den vergangenen Wochen – keineswegs die Rolle eines intimen Kenners der allzu oft zitierten „Klima-Veränderungen“ an. Viel mehr interessieren ihn langfristige Entwicklungen und Tendenzen: „Es geht auch um eine historische Dimension. Um Analogien und Unterschiede in der jüngeren Vergangenheit – und in Sachen Vergangenheitsbewältigung. Um typisch österreichische Mechanismen. Um die Einschätzung der neuen Lage Wiens nach dem Mauerfall. Kurz: Ich möchte herausfinden, was das ist, was sich da am Rande von Europa als Staat tarnt.“
Kein Zweifel : Matthias Deutschmann ist auch ein routinierter Provokateur – und ein geistreicher Improvisateur, der sich mit gemischten Gefühlen auf das Neuland „Wiener Publikum“ einlässt: „Das Ganze ist ein spannendes Experiment. Mal sehen, was passiert.“
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