Kein Ausbüchsen
Der Standard 05/1998
Andreas Vitàsek & Camillo Schmidt feiern im Vindobona die 10-Jahres-Jubiläums-Wiederaufnahme von „Der Büchsenöffner“. Johann ist der Intellektuelle, der Obergescheite – der Kopf-Mensch. Jakob ist der Naive, der Gefühlsbetonte – der Bauch-Mensch. Und schon ein klein wenig Koordination und Zusammenarbeit – zwischen Hirn und Hunger – könnten die Situation spürbar entspannen. Doch das passiert erst ganz zum Schluss. Wenn es bereits zu spät ist. Bis dahin vertreiben sich die beiden Überlebenden einer namenlosen Katastrophe in ihrem Bunker die Zeit mit Macht- und Psychoterror-Spielchen. Zwei Kontrahenten, die einander die jämmerlichen Reste ihrer Existenzen zu ehekrachenden Vorhöllen machen. „Erst kommt das Fressen …“ gegen geistvolles Gelaber über kosmische Kontinuität.
Zehn Jahre ist es her, dass Andreas Vitasek und Camillo Schmidt diese existenzialistische Kammer-Satire von Victor Lanoux in Österreich erstaufführten. In der Jubiläums-Wiederaufnahme (bis 5.6. im Vindobona) ziehen sie abermals alle Register ihres Könnens. Und genau dort liegt des Pudels Kern begraben. Denn die verzweifelte Komik des „Büchsenöffners“ – zwischen Angst und Absurdität, Suizid und Sinnsuche – beruht in erster Linie auf Kontrast: Clownerei & Geplänkel vor einem hochdramatischen Hintergrund. Zweiterer ist leider nur Kulisse. Spürbar wird der Ernst der Lage so gut wie nie. Und somit auch nicht der Kontrast. Vitàseks Hang zu lachauslösender Grimassiererei und – im Kabarett für adäquate Auflockerung sorgende – Albernheiten, sind nur sehr bedingt dazu geeignet, Ja-kobs anfängliche Kopf-in-den-Sand-Strategie zu verdeutlichen. Erst mit dem panischen Hunger kommt die Erkenntnis, dass die Taktik des Verdrängens des Unvermeidlichen, aber Unfasslichen nicht aufgeht. Und mit ihr kehrt schließlich auch die zu Eindringlichkeit fähige Überzeugungskraft Vitàseks wieder. Leider erst sehr spät.
Schmidt’s Johann hingegen demonstriert – mit als Kompensationsversuch wertbarer schau-spielerischer Zurückhaltung (oder war es umgekehrt ?) – von Anfang an, dass der Denker in der Agonie mehr zu verlieren hat, als der Dumpfe. Denn wie uns bereits in der Mittelschule vermittelt wurde, ist jegliche Philosophie spätestens dann zum in die Haare schmieren, wenn es ans Eingemachte geht. Und im finale letale sind sowieso alle gleich. „Nicht nachdenken“, beschließen Johann und Jakob – und dann geht das Licht aus.
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