Sentimentale Heiterkeit mit Pathos
Der Standard 04/1997
„Schnell, bevor sie ganz vergessen sind …“ ist das Motto des Abends, das in seiner raunzig-koketten Resignaton gleich selbst eine Facette des jüdischen Beitrags zum Wienerlied darstellt. Eine weitere findet sich im Titel: „Ui Jessas, nur net schlag’n“ ist eine Zeile aus dem Fiakerlied von Gustav Pick, die – wie Gerhard Bronner ausführt „die einzige Stelle im jüdischen Wienerliedschatz ist, in der ausdrücklich auf seine absolute Gewaltfreiheit hingewiesen wird.“
Darüberhinaus fällt es nicht leicht, bei den von Bronner ausgewählten Liedern genuine Gemeinsamkeiten zu entdecken, die etwas spezifisch „Jüdisches“ zu illustrieren im Stande wären. Sehr wohl dokumentieren sie aber eindrucksvoll das kreative Klima dessen, was Torberg „das Zeitalter jüdisch-wienerischer Symbiose“ nannte. Wobei man es mit dem im Untertitel bereits festgehaltenen Begriff des Wienerlieds nicht so genau nehmen darf. Unter dieser Sammelbezeichnung vereinigt Bronner nämlich vor der Pause Heurigenlieder und Schlager – „Lieder, die Juden für Nicht-Juden geschrieben haben“ – und in der zweiten Hälfte Musical-Melodien, jiddische Volkslieder und Songs aus der eigenen Kabarettgeschichte – „Lieder, die Juden für Juden geschrieben haben“. Zusammen mit einem Biographie-Medley über Hermann Leopoldi, einigen neuen Strophen zu alten Melodien und etlichen adäquaten Anekdoten zaubert Doyen Bronner in bewährter Manier einen heiter-sentimentalen Abend in den Rabenhof, der Geschichte wieder lebendig werden lässt.
Nicht ganz unbeteiligt sind daran die Gesangsstimmen von Anita Ammersfeld, deren lyrischer Sopran berührt ohne sich aufzudrängen, und Joseph René Rumpold, der allerdings gelegentlich mit der von ihm verlangten Intensität überfordert wirkt. Ein Eindruck, der sich verstärkt, stellt man den nicht ganz fairen Vergleich zu der gleichzeitig erschienenen, wertvollen Programm-CD „Ich hab‘ kein scharfes Messer“ an, auf der Ethan Freeman vorführt, mit welch stimmlicher Zurückhaltung ein Höchstmaß an Wirkung zu erzielen ist.
Besonders deutlich wird dies‘ bei dem vorletzten Lied des Programms: „Lasst uns beten“ (Bronner) ist in seiner hymnischen Plakativität ein heißer Tip für den Sieg im Betroffenheits- und Weltverbesserungs-Song-Contest: „Lasst uns beten / fällt es uns noch so schwer / doch viel Zeit ist nicht mehr / für den armen geschundenen Planeten. / Gib uns Zukunft / gib uns Weisheit / führ die Menschheit heraus aus dieser Eiszeit!“
Gegen eine ordentliche Portion Pathos ist ja überhaupt nichts einzuwenden, aber sich ändernde Zeiten müssen ja nicht gleich den Weltuntergang bedeuten!
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