Grenzüberflügelnd
Ein fliegender Mönch mit steirischem Sternenbanner und Amélie beim Almfest auf Tahiti
kabarett.at 05/2006
Fast ein Vierteljahrhundert ist es her, dass die Folk-Ethno-Jazz-Fusion-Pioniere von „Broadlahn“ die ersten gemeinsamen Stückln spielten. Zu einer Zeit, als der Begriff „Neue Volksmusik“ noch gar nicht erfunden war. Das Sextett hat somit eine Geschichte, die sich – na, ja – schon fast mit jener der „Rolling Stones“ messen kann. Und weil die letzten Konzerte der 1993 mit dem „Deutschen Kleinkunstpreis“ ausgezeichneten Band schon einige Jahre zurück liegen, funktionierte beim Auftritt am Samstag in der „Kulisse“ auch der Gag mit der Bedeutungsverwandtschaft zwischen „Broadlahn“ (= breite Lawine) und den „Rolling Stones“ wieder.
Gut Ding braucht Weile
Mehrjährige Kreativpausen haben bei „Broadlahn“ ja schon fast Tradition. Denn vor allem bei Ernst Huber, Philipp Rottensteiner und Sepp Ofner ticken die Uhren nicht ganz so, wie es die Musikindustrie wohl gerne hätte. Einerseits vorsätzlich. Andererseits zwangsläufig. Schließlich sind die drei Gründungs-Väter und Frontmänner eigentlich Amateure. Im besten Sinne: denn ihre Liebe zur Musik schlägt sich in einzigartiger Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Hingabe bei der Verschmelzung ihrer aus allen Kontinenten importierten musikalischen Zutaten nieder. Gut Ding braucht Weile, wissen sie, und bessere Dinge noch ein Weilchen länger. Auch die gefragten und bei vielen Projekten und Bands tätigen Profi-Musiker in den Reihen von „Broadlahn“ – Reinhard Grube (sax) und Franz Schmuck (perc) – haben sich inzwischen an den eigentümlichen Schaffens-Rhythmus ihrer Kollaborateure gewöhnt. Und Christian Seiner (b), der sich als Nachfolger für den ausgeschiedenen Reinhard Ziegerhofer unauffällig und nahtlos in die Band einfügt, wird wissen, worauf er sich mit dieser Formation eingelassen hat: ein Verein individueller und kompromissloser Gegen-den-Strom-Schwimmer.
UKW und andere unspektakuläre Freuden
Ihr aktuelles Konzert-Programm „Neue Nomadenjodler“, das noch heuer auch auf CD erscheinen soll, besteht aus einigen – stellenweise leicht modifizierten – guten, alten Bekannten und sechs feinen, neuen Nummern, die zusammen wieder jenen Zauber aufleben lassen, mit dem sich „Broadlahn“ in den 90ern weltweit eine begeisterte Fangemeinde erspielt hat. Ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer Konzerte sind auch weiterhin die von Ernst Huber aus betont rustikaler Perspektive erzählten „Langer Rede, kurzer Sinn“-Anekdoten, mit denen er ungeahnte Wissenslücken über die Ultrakurzwelle, die Bedeutung des „Du“ im steirischen Alltag, bäuerliche Brautwerbung und viele andere unspektakuläre Freuden des Landlebens zu schließen versteht.
Fliegender Mönch mit steirischem Sternenbanner
Doch zurück zur Musik : Grubes „Karussel“ klingt, als würde „Amélie“ auf einem Kirtag im Joglland tanzen. Schmucks „4 Tata 5“ ist eine im 19/8-Takt gehaltene, komplexe Komposition mit verblüffend verschachtelten Wechsel-Jodlern. Mit „Jodelius, the flying Monk“ belegen sie ihre musik-ethnologisch interessante Entdeckung, dass zumindest eine Komposition von Thelonious Monk auf steirischen Jodlern basiert. Wer hätte das gedacht? Ganz zu schweigen von der amerikanischen Nationalhymne, die im alpinen Gewand einen ungeahnten Charme entfaltet.
Alm auf Tahiti
Die Ballade „Schließ deine Augen“, angeblich das Heimatlied steirischstämmiger kanadischer Holzfäller, klingt indes fast ein wenig, als wären STS irgendwann doch vom kommerziell vorgespurten Weg in interessantere Gebiete abgebogen. Der „Postbus“ bringt schließlich eine irische Geige und karibische Cajun-Klänge in die Steiermark. Ein harmonisches Fest der musikalischen Artenvielfalt, bei dem so richtig die Post abgeht – und das in der Zeile gipfelt: „I hätt so gern auf Tahiti a Alm !“
Heimatmusik für den anspruchsvollen Kosmopoliten
Die neuen Titel sind abermals durchwegs kompliziert arrangiert und verlangen eine entsprechend hochkonzentrierte Interpretation, um ihre Faszination voll entfalten zu können. „Broadlahn“ erweist sich daher über weite Strecken des Abends mehr als stimmungsvolles, virtuoses Weltmusik-Kammer-Orchester, denn als locker groovende Ethno-Jazz-Band. Unter die Haut gehen einem ihre grenzüberflügelnden Heimatmelodien noch immer. Und bei aller Raffinesse auch ins Ohr. Und zu Herzen. Und bei „Regn in die Hoa“ oder „Almawasserl“ darf vor lauter Wiederhörensfreude auch schon mal eine Träne fließen. Spätestens für „Abdullah Ibrahim in der Steiermark“ sollte dann aber bitte die Tanzfläche frei geräumt werden. Schön, dass sie wieder da sind !
- 24.06. Wien, Donauinselfest
- 01.07. St. Gallen, Burg Gallenstein
- 19.08. Hochneukirchen, Mumyhua Festival
- 02.09. Obervellach, Gasthof zur guten Quelle
- 18.11. Neusiedl, Impulse
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