Realitätsflüchtlingsschutzprogramm
Brix – „Unter Zwang„
„Keine Angst, das Schlimmste hamma hinter uns.“
kabarett.at / 27. Jänner 2006
Brix‘ sechstes Solo kommt ein wenig daher, wie ein gereifter Lurch. Zur Erklärung für Quereinsteiger: “Lurch” hieß 1995 das Solokabarett-Debut von Werner Brix. Er behandelte darin auf ziemlich schräge Weise die diversen Schmerzen, die ein hoffnungsvoller Newcomer vor der Premiere auf dem beinharten kleinkünstlerischen Gebärstuhl zu erdulden hat. Und : Was einem beim Erarbeiten eines Programms so alles in die Quere kommen kann.
Seit “Lurch” sind fast 10 Jahre vergangen. Jahre, in denen Brix seinen Ruf als einer der besten Schauspieler in der Kabarettszene immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Jahre, in denen er gelernt hat, sein Talent, kuriose Charakter-Karikaturen auf die Bühne zu stellen, sorgfältig zu dosieren. Jahre, in denen er zusätzlich zur Publikums-Anerkennung zuletzt endlich auch die ersten der ihm schon seit langem zustehenden Preise bekommen hat. Jahre, in denen sich also viel getan hat. Eines hat sich aber offensichtlich nicht verändert: Das hochgradig unrunde Vorfeld einer Premiere.
An einen Schreibtischsessel gefesselt wird Brix auf die von einer Überwachungskamera beargusäugten Bühne geschoben. Eindeutig “Unter Zwang”. Vom Veranstalter mit Gewalt und Erinnerungen an die andernfalls fällige Pönale dazu genötigt, den vereinbarten Premierentermin einzuhalten. Dabei hatte Brix diesmal wirklich weder die Zeit noch die Nerven, ein abendfüllend amüsantes Solo vorzubereiten. Seine Scheidung steckt ihm noch in allen Knochen. Doch jetzt sitzt er wehrlos auf der Bühne und soll ein zahlendes Publikum befriedigen. Eine brenzlige Situation zum Quadrat. Ganz kurz nur versucht er, sich mit Hilfe seines bewährten Stock-im-Eisen-Clowns Pinke-Panke aus der Patsche zu helfen. Aber das wäre ihm dann wohl doch zu billig. Also flüchtet er sich in Improvisationen. Halt- und ansatzlos lässt er Haushaltstipps vom Stapel, philosophiert über die Macht der Bilder und verzweifelt an dem ständig nach Neuem verlangenden Konsumwahn. Wenn früher der Fernseher kaputt gegangen ist, konnte man ihn zumindest noch in ein Aquarium umbauen. Aber jetzt – bei den Flachbildschirmen ?
Gerechter Trotz und bedrohliche Orientierungslosigkeit münden in einem zunehmend zornigen Monolog über den Veranstalter, die Kabarettszene, die Politik und die Institution der Ehe: die einzige Disziplin, in der man zuerst die Urkunde bekommt und erst danach die Leistung vollbringen muss …
Die Rage wirkt befreiend. Mit einem am Haka der “All Blacks” angelehnten Kriegstanz feiert Brix seine Entfesslung. Der Auftakt für eine faszinierende Wendung in diesem bisher zwar abwechslungsreich gewitzten, aber eher eindimensionalen Programm. Ohne Pause – “Da will der Veranstalter doch nur Umsatz machen. Nicht mit mir !” – gleitet Brix in die zweite Spielhälfte: Eine Flucht, deren Motto er von Hansi Lang entlehnt: “Ich spiele leben”. Da rotieren dann die Realitätsebenen, dass es nur so Funken sprüht.
“Unter Zwang” ist für Brix fast so etwas, wie ein zweites Programm. Also eines dieser bedrohlichen Bestätigungs-Programe. Nach “Megaplexx” und “Salzburger Stier” sind die Aufmerksamkeit und die Erwartungen nämlich ganz besonders groß. Und es gelingt ihm das Kunststück, nicht zu enttäuschen. Kunststück deshalb, weil “Unter Zwang” dereinst rückblickend bestimmt nicht als maßgeblicher Meilenstein auf seiner künstlerischen Karriere hervorstrahlen wird. Es ist eine Art Zwischenprogramm, dem man seine etwas unfreiwillige Entstehungsgeschichte sofort abkauft. Brix kann sich das leisten. Mit seiner schauspielerischen Gabe, seinem komödiantischen Talent, seiner verblüffenden Authentizität und seinem unverändert unbändigem Schalk gelingt es ihm spielend, auch ein inhaltlich vielleicht nicht ganz so geniestreichfähiges Stück zu einem hochamüsanten Highlight des heimischen Kabaretts zu machen. Es ist schlicht immer wieder eine herzhüpfende Freude, einem Künstler wie Brix bei der Arbeit zuschauen zu dürfen.
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