Ein Fall für die Theaterpolizei
Was ist grün und liegt am Boden? – Eine Sterbse.
kabarett.at 11/2007
Gregor Seberg und Werner Brix ist nämlich dankenswerterweise nichts zu blöd und nichts zu anspruchsvoll, um es nicht in ihre Lese-Performance „Die Erleser kommen“ einfließen zu lassen. Da gibt es großartige Passagen über den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Literatur, über die Höhlenmalerei als paläontologische Post-Its oder über die prosaische Metaphorik zeitgenössischer Kriegserklärungen. Sensationell, was die beiden charmant-charismatischen Schauspieler und Kleinkünstler da ins Rampenlicht zerren, um es genüsslich und gewitzt zu zerlegen. Ein Höhepunkt ist zweifellos die Verdeutlichung der etwas distanzierten Beziehung zwischen den BAWAG-Akteuren Flöttl und Elsner in Form eines Beleidigungs-Boleros, der sich gewaschen hat.
Bei der Beherrschung der Zither hat Seberg indes noch ein wenig headroom. Wobei dieses Familienerbstück-Instrument nur eines von knapp zwei Dutzend Requisiten ist, die das seit den Dreharbeiten zum Niki-List-Film „Helden in Tirol“ befreundete Duo während der ersten Minuten des Programms auf die schlussendlich völlig überladene Bühne zerrt : zwei Laptops, eine Gitarre, eine Mikrowelle, zwei Staffeleien samt Leinwand, einen Akten-Shredder, Bücher etc. Es ist ihnen ja fast zu wünschen, dass sie mit diesem Equipment nie auf Tournee fahren müssen.
Auf der Basis eines Konkurrenzkampfs zwischen Theater (Seberg) und Kabarett (Brix) liefern sich die beiden einen pointierten Schlagabtausch zum Thema Sprache und Kommunikation. Mit viel Elan geraten sie im Zuge dessen aber auch in die kabarettistischen Untiefen primitiver Parodien-Potpurris. Wenn einmal die bewährtesten Imitations-Opfer der letzten 50 Jahre – von Hans Moser über Oskar Werner und Bruno Kreisky bis in die Gegenwart zu Otto Schenk und Marcel Reich-Ranicky – herhalten müssen, um Amusement zu erzeugen, helfen auch keine literarischen Feinheiten im Text mehr, um der Nummer eine Existenzberechtigung zu verschaffen.
Ist natürlich alles voll ironisch gemeint. Eh klar. Allerdings begeben sich Brix und Seberg mit ihrem Stil der großteils als pseudo-improvisiert zur Schau gestellten Doppelconference auf ein sehr glattes Terrain im unerforschten Mittelfeld zwischen brav auswendig gelerntem Text, gut geprobter und glaubwürdig gespielter Scheinbar-Spontaneität und grundehrlichem Stegreif-Spiel. Eine sehr ironische Meta-Ebene, deren Sinnhaftigkeit aber bezweifelt werden darf. Sich darüber augenzwinkernd zu amüsieren, dass man eh halbwegs einstudierte Dialoge so zum Vortrag bringt, als würden sie aus dem Moment heraus entstehen, ist schlicht einmal zu oft um die Ecke gedacht, um auf Kleinkunstbühnen zu funktionieren. Zumindest ab einer gewissen Saalgröße. Solange eine Intimität herrscht, die einer gemeinschaftlichen Verschwörungsbereitschaft zwischen Künstler und Kunden Vorschub leistet, kann das Konzept aufgehen. Im „Orpheum“ klappt das definitiv nicht.
Dieses Prinzip ist nicht das einzige, was im Verlauf der Vorstellung der dem Programm unangemessenen Dimension des Veranstaltungsortes zum Opfer fällt. Um zu gewährleisten, dass der Funke der Sympathie so heftig überspringt, dass sich die Künstler auf der Bühne wirklich jeden Träsch leisten können, muss ein sehr viel unmittelbarerer Kontakt möglich sein. Oder noch mehr Vorschuss-Sympathien flackern, als bei der Premiere. Und das wird wohl nicht so leicht zu bewerkstelligen sein.
Die großen Entfernungen im „Orpheum“ verhindern auch die Wirksamkeit des tatsächlich spontanen Privatgeplänkels zwischen Gregor Seberg und Zuschauern in den ersten Sitzreihen. Für die ersten Sitzreihen gewiss sehr erheiternd. Die schweigende Mehrheit fühlt sich derweil allerdings grob vernachlässigt.
Ein letzter Kritikpunkt sei noch angebracht. So effektvoll der Einsatz von Sound-Sampling und Live-Loops auch sein mag – die simple Demonstration dieser Technik ist inzwischen zu wenig, um ihren Bühneneinsatz zu rechtfertigen. Mag schon sein, dass sie hierzulande im Kleinkunst-Kontext noch nicht allzu oft zum Einsatz gekommen ist, aber seit „Orchester Bürger Kreitmeier“ herrschen diesbezüglich einfach andere Gesetze.
Vorweggeschickt sei an dieser Stelle: Brix und Seberg haben Spaß – und machen Spaß. Ein paar Kürzungen und Streichungen täten dem Projekt „Die Erleser kommen“ aber gewiss gut. Was sie bei aller berechtigten Kritik aber keinesfalls verdient haben, sind Besucher, die wenige Minuten vor Schluss betont lautstark den Zuschauersaal verlassen. Das ist schlicht schlechtes Benehmen – und wäre endlich mal eine vernünftige Aufgabe für die Theaterpolizei.
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