Außergewöhnlich seelenverwandt
Der Standard 12/1998
Drei Schilling kostete der Eintritt, als Wolfram Berger vor knapp 30 Jahren und fünfhundert Mit-schülern seinen ersten öffentlichen Auftritt absolvierte: eine szenische Lesung von Texten Karl Valentins. Das Ergebnis waren einige Kilo Hartgeld und der Beschluss, Valentin treu zu bleiben. Einer Schubladisierung hat sich der gebürtige Grazer dennoch mit durchschlagendem Erfolg widersetzt.
Seine Schauspiel-Karriere führte ihn nach Basel, Zürich, Bochum und Stuttgart, bevor er sich 1980 vom fixen Theater-Betrieb lossagte, um fürderhin als eigenwilliger „freier Vogel“ agieren zu können. Neben seinen zahlreichen Engagements für Funk, Film („Stille Wasser“) und Fernsehen, seinen Inszenierungen und eigenen Theaterproduktionen („Rotta-Theater“), ist es aber im-mer wieder die Kleinkunst, der er seine besondere Aufmerksamkeit widmet. Im Vorjahr bekam er dafür den „Salzburger Stier“.
Nach längerer Absenz meldete er sich Anfang dieses Jahres auch auf Wiens Bühnen wieder zurück. In „Engel im Kopf“ läßt er mit spielerischer Leichtigkeit und erfrischender Ironie poetische Welten – von Klassikern und Klotüren – aufeinanderprallen. Und das, ohne affrontale Unfälle zu verursachen. Es ist Wolfram Bergers Fähigkeit zu kleinen Gesten und großen Gefühlen, zu leisem Witz und lauter Dramatik, mit der er es virtuos versteht, seinen Spielraum zwischen höherem Blödsinn und tieferen Einsichten, zwischen Klamauk und Melancholie, zwischen E und U über-raschungsreich und überzeugend auszureizen.
Qualitäten, die auch in seiner Valentin-Collage „Muss denn jedesmal bei meiner silbernen Hochzeit gerauft werden…!“ eindrucksvoll zur Geltung kommen. An die hundert Mal hat er diese im vergangenen Vierteljahrhundert – von Basel bis zu den Berliner Festwochen – in unterschiedlichsten Variationen gespielt. Kuriose Kurzgeschichten, Nonsens-Couplets und vertrackte Szenen vermischt er mit Anekdoten und Biographischem zu einer facettenreichen Wiederbelebung eines der „eindringlichsten geistigen Figuren unserer Zeit“ (Brecht).
„Karl Valentin war ein heiterer Mann. Wolfram Berger ist auch ein heiterer Mann. Wenn Berger Valentin spielt, muss …“ und so weiter. Fügt Berger die mit diesen Worten beginnende Kritik seiner Pressemappe bei, ersetzt er die beiden ersten Satzzeichen handschriftlich durch Fragezeichen. Abgesehen von dem damit einhergehenden nicht unwesentlichen Bedeutungswandel, ist dieser Eingriff symptomatisch für seine Arbeitsweise: Berger legt wert auf die richtigen Nuancen – und das ohne falsch verstandenem Respekt vor Texten anderer. Auch bei Valentin – seinem „künstlerischen Vitamin“ – hört er mehr auf den zugrundeliegenden Ton. Und vermag ihn mit seiner Interpretation punktgenau zu treffen. Denn er hat Valentin nicht nur verstanden – er hat ihn verinnerlicht.
„Sein Witz hat das Kindliche, das Neugierige, Schadenfrohe, Verspielte, Trotzige, Aufgeweckte und Terrible“, sagte Polgar über Valentin. Ein Beleg für die enge Geistesverwandtschaft des vor 50 Jahren verstorbenen Münchners mit Wolfram Berger.
8. – 19.12., Spektakel, 1050 Wien, Hamburgerstr. 14., Tel. 587 06 53
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