Schmerzen jenseits der Scherzgrenze
„Angst machen, schleimen und abkassieren“: Wenn du den Frieden willst, rüste für den Krieg.
kabarett.at 01/2010
Über das Wesen und Wirken jener Figur, die Martin Puntigam in seinem neuen Solo „Atomic Wedgie“ verkörpert, muss gar nicht viel verraten werden, um sie ungetrost auf dem Schuttabladeplatz für charakterlichen Sondermüll deponieren zu können. Eigentlich genügt schon der Umstand, dass er Telefonate mit dem Wort „LiGrü“ beendet. Widerlicherweise macht dieser Seminarleiter für Sicherheit und Survival auch gar keinen Hehl aus seinen Defiziten. Im Gegenteil: grenzenloser süffisanter Stolz statt wenigstens verschlagener Scham.
Er weiß, worauf es in Zukunft ankommt, wenn die Wirtschaft endgültig den Bach runter geht. Dann können wir uns nämlich mit den Errungenschaften der westlichen Zivilisation brausen gehen. Dann herrscht das Faustrecht. Also gilt es, sich mit Waffen und den zukünftigen Warlords vertraut zu machen. Und – „als 3. Säule des persönlichen back-ups“ – zum Judentum zu konvertieren. Weil, wer einmal den Holocaust überstanden hat, den kann wohl so leicht nichts mehr erschüttern.
Ein opportunistisches Ekelpaket, das die Zeit bis zur prophezeiten Katastrophe rasch noch damit verbringt, mit wenig Arbeit viel Geld zu verdienen. Ganz einfach: den Seminar-Teilnehmern erst die übelsten Zukunfts-Horror-Szenarien auftischen, sie dann loben für ihren klugen Weitblick, an dem Seminar teilzunehmen – und ihnen dann die gesamte Palette an Survival-Tools verkaufen, die die Firma im Sortiment hat. Seine Erfolgsformel in Kürze : „Angst machen, schleimen und abkassieren.“
Und als ob das alles noch nicht genug wäre, pflegt dieser skrupellose Egoist auch noch ein paar menschenverachtende zwischenmenschliche Hobbies und quittiert seinen arroganten Branntweiner-Schmäh mit lang anhaltendem, selbstgefälligem Gelächter. Ganz zu schweigen von dem Plan, den er ausheckt, um das Problem der von ihm geschwängerten Schülerin aus der Welt zu schaffen.
Also ein weiteres Subjekt aus dem Puntigam’schen „House of hidden Horrors“, dem man möglichst nie im Leben begegnen möchte. Dessen im Plauderton präsentierten Abgründe Schmerzen jenseits der Scherzgrenze verursachen. Aber auch ein Typ, der vordergründig womöglich so unauffällig daherkommt, dass sich nicht mit Gewissheit ausschließen lässt, von dieser Sorte bereits den einen oder anderen im Bekanntenkreis zu haben. Die Erkenntnis tut erst weh!
War die Hauptfigur im vorangegangenen Solo „Luziprack“ noch eine Kreatur, die man eine gewisse Zeit lang durchaus gern haben wollte, ist in „Atomic Wedgie“ ziemlich rasch klar, mit was für einem Monster man es zu tun hat. Dadurch fehlt es dem Programm vergleichsweise an spannender Ambivalenz und Verunsicherung. Eindimensionaler, aber durch diese Reduktion auch radikaler und kompromissloser. Das in der zweiten Hälfte auf der Bühne zusammengebastelte Geburtstagsgeschenk für den Firmenchef fällt aber schlussendlich in die Kategorie Effekthascherei. Wobei der Effekt allerdings weitgehend ausbleibt. Verdammt, es wird immer schwieriger, Tabus zu brechen.
Sehr sehenswert ist „Atomic Wedgie“ natürlich allemal. Weil schlicht außergewöhnlich. Wer macht schon sonst so abseitige Scherze über Pfarrer mit Pfefferspray im Messköfferchen, „Glory Holes“ in der Bildungskarenz, Sternsinger im Bordell oder Vorhautbeschneidungen. Auf bestens recherchierter Basis überschreitet Puntigam mit seinem Humor wieder mit atemberaubender Selbstverständlichkeit und großer künstlerischer Kreativität die üblichen Grenzen der political correctness – und zeichnet damit einen erschreckenden Bildausschnitt unserer Gesellschaft. Und das, ohne jemals einer Pointe wegen den Weg der Wahrheit zu verlassen.
Um nicht ganz so schwülstig zu enden, sei noch bemerkt, dass Martin Puntigam soeben vom „Kurier“ in einer Rangliste der „Top 5 Kabarettisten“ auf Platz 4 gereiht wurde. Glückwunsch. Offenbar eine Wertung, die sich auf den gesamten deutschen Sprachraum bezieht, denn während sich vor ihm Michael Niavarani, Werner Brix und Thomas Maurer platzieren konnten, liegt hinter ihm auf Platz 5 die Proll-Comedy-Ikone „Cindy aus Marzahn“. Welch wunderschönes Spannungsfeld.
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