In Wahrheit hat die Tochter keine Zeit
Der Standard 03/2001
Drohend lauern sie von Anbeginn an im Bühneneck : zwei transparente Stehpulte und zwei Fahnen. Vertraute Regierungs-Requisiten, die aber im Verlauf des Programms nur eine kleine, unwesentliche Nebenrolle spielen dürfen. Es genügt, dass sie ständig präsent sind – um nie aus den Augen zu verlieren, worum es hier geht. Denn “Ausrichten – Ein Lebensprinzip” lebt von dem Plastizität erzeugenden, ständigen Wechselspiel zwischen hintergründiger, bisweilen metaphorischer Analyse und einer an Deutlichkeit nichts vermissen lassender Unverblümtheit. Bis hin zur geradezu agitatorischen, finalen Botschaft : ein eigentlich schwerstens verpöntes und bereits vor Jahren endgültig zu Grabe getragenes kabarettistisches Stilmittel. Doch durch ständige scheinbare Ausstiege aus dem Programm-Text gelingt dem Duo die Ironisierung all der von ihnen verwendeten dramaturgischen Werkzeuge – inklusive Zeigefinger und Schnitzler-Zitate. Besagte “message” ist ja schließlich nur eine bereits längst verworfene Idee von Steinhauer, die Henning boshafterweise nur deshalb wieder aufleben lässt, um die Antiquiertheit seines Partners zu demonstrieren.
Diese als Kommunikationsform mittlerweile salonfähige, unheilvolle Vermählung von Arroganz und Provokation prägt das Mit- und Gegeneinander von Steinhauer und Henning. Ein spielerischer Konflikt voll falscher Freundlichkeit, der in durchaus ernst zu nehmenden gegenseitigen Bloßstellungen und Beschimpfungen gipfelt : “Windschattenkomiker” gegen “Fremdtextaufsager” – vereinigt durch das gleiche Feindbild. Da geht es ihrer Beziehung wie der österreichischen Identität, die – wenn nicht gerade ein Herminator zu Tal rast – nur in Form defensiver Schulterschlüsse mit genüsslich zelebrierter Emotionalität zum Ausbruch kommt.
In “Ausrichten” geschieht das unter anderem in Form eines heftig akklamierten, pointierten Beleidigungs-Furiosos gegenüber Spitzenpolitikern. Und da hört sich der Spass kurzzeitig auf. Zumindest für die Wenigen, die nach einer kurzen Besinnungspause erkennen, dass der großen Heiterkeit über Bezeichnungen wie “Prinzhorn-Bläser” für ein Regierungsmitglied haargenau der gleiche billige Mechanismus zugrunde liegt, wie der Ausgelassenheit bei Rieder Parteiveranstaltungen. Natürlich ist die Umkehrung der Vorzeichen boshafte Absicht, aber ihr mangelt es an Erkennbarkeit. Dabei würde ein beiläufig eingestreuter Westentaschen-Napoleon bereits jeder Missverständlichkeit vorbeugen. Andernorts scheuen Steinhauer/Henning und ihr illustres Autoren-Team (Brée, Maurer, Scheuba, Schindlecker und ein sich “aus privaten Gründen” hinter einem Pseudonym verbergender Samuel Dintenfass) ja auch nicht vor Tacheles zurück.
Ihre Doppelconferencen sind raffinierte und geistesgegenwärtige Dispute zwischen zwei zornigen G’scheiten, ihre mit erwartungsgemäß profunder schauspielerischer Klasse gespielten Szenen vielfältige Plädoyers gegen die normalisierende Kraft des Faktischen. Insbesondere gegen die von Andreas Khol einst zu einem erschütternden Satz zusammengefasste Beliebigkeit : seine Tochter habe in Wahrheit keine Zeit. Oder war es doch “Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit”? Egal: “Beides gleich deppert”.
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