Die Regeln und die Grätsche
Der Standard 05/2000
Die Revue-Programme des Kabarett „Simpl“ unterliegen eigenen, ungeschriebenen Gesetzen. Derartig aufwendige Produktionen, die bis zu 200 Mal en suite im gleichen Haus gespielt wird, dürfen ihren sorgfältig gepflegten Rang als Pflichtveranstaltung für das Stammklientel und als Wien-Reise-Fixtermin für alle Altersklassen aus allen Bundesländern nicht leichtfertig gefährden. Kein anderes Kabarett hat einen authentischeren Spiegel der Bevölkerung in seinen Sitzreihen, als das „Simpl“. Und mehr als jedes andere Ensemble muss jenes des „Simpls“ auf breitestmögliche Publikumsbefriedigung abzielen. Was schon schwierig genug wäre, würden im „Simpl“ ausschließlich motorische Comedy-Dienstleister ihr opportunes Abendwerk verrichten. Zu einer Herausforderung wird die Aufgabe, wenn Überzeugungen ins Spiel kommen. Da sind dann artistische Spagate erforderlich, die zur Zerreißprobe werden können.
In „Gierig & Co“, der aktuellen Sommerproduktion, zeigt das „Simpl“ abermals Mut zu politischer Unmissverständlichkeit. Mehr noch, als in den vorangegangenen, die bereits stellenweise dazu geeignet waren, erboste Zuschauer vorzeitig zum Verlassen der Vorstellung zu bewegen. Das ist natürlich nicht der Zweck der Übung, aber es beweist die Richtigkeit des Wegs. Denn die meisten der 27% werden ob des großteils dem puren Amusement verpflichteten Programms auch dann sitzenbleiben, wenn Jörg Haiders Rückgratlosigkeit und die gesammelten Peinlichkeiten der Regierung pointiert der allgemeinen Lächerlichkeit preisgegeben werden oder ein schwungvolles Loblied auf das multikulturelle Treiben am Naschmarkt angestimmt wird.
Auch künstlerisch Unkonventionelles – für „Simpl“sche Verhältnisse – hat in „Gierig & Co“ seine Plätze. Sogar prominente : statt des üblicherweise fulminanten Show-Openings gibt es diesmal eine absurde Pantomime, statt des großen Finales eine simple Blödelei in „Teletubby“-Kostümen. Eine Abfolge verschiedener Würstlstand-Dialoge ist eingebettet in ein Wedekind‘sches Lied über die Sehnsucht nach einem gelobten Land. So etwas hinterlässt im „Simpl“ spannende Ratlosigkeit. Die natürlich sofort wieder mit einer Nonsense-Nummer über Magenverstimmung, einer Parodie auf Engstlers „Frisch gekocht“-Sendung oder irgendeinem halblustigen Sketch abgefedert wird. Eine riskante Grätsche, der hohe Haltungsnoten gebührt.
Dem tadellosen Ensemble, dem erstmals auch das Duo „Steinböck & Rudle“ angehört, ist nichts und niemand hinzuzufügen.
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