Abgesang mit Katzeklo
Der Standard 10/1995
Jede Mode-Erscheinung besteht aus den Vor- und Wegbereitern, den Zugaufspringern und Wellenreitern – und schließlich einer erklecklichen Anzahl niederer Kielwassertreiblinge. Die erste Gruppe besteht wiederum zumeist aus jenen stimmungsempfänglichen Querdenkern, instinktiven Initialzündern und mythischen Rittern, die gegen Widerstand und Verachtung – die schärfsten Windmühlenflügel der öffentlichen Meinung – zu Felde ziehen, um dort mit immenser persönlicher Risikobereitschaft die ersten Furchen in dem noch steinigen Boden eines unbeackerten Marktes zu ziehen. Dafür gelten sie dann fallweise fürderhin als Zeitgeist-Pioniere.
Auf dem Gebiet des deutschsprachigen Entertainments wurde Helge Schneider, instinktiver Initialzünder und Pionier der Pointenlosigkeit, vor zwei bis drei Jahren zu einem jener kultisch verehrten, tragenden Säulenheiligen, auf dessen Konzerte zu pilgern seit damals die Zeitgeist-Pflicht gebietet. Doch der überschwappende Enthusiasmus ist inzwischen bereits zu den nachdrängelnden Schwachsinns-Verzapfern der Marke doof & bekloppt abgewandert. Der Lauf der Dinge ist eben unaufhaltsam: Helge Schneider, der schüchtern lächelnde Sonnenbrillenträger, weiß, dass er mit seiner verletzlichen Ehrlichkeit gegen die Konkurrenz der käuferstromlinienförmigen, mundgerechten Marktnischen-Mutanten keine wirksame Waffe in der Hand hat. Zumal diese Epigonen auch noch die Chuzpe haben, sich mit dem Schneider’schen Image des gewissen Ganz- und Garnichts zu schmücken, obwohl sie ihrem engmaschigen Entertainer-Korsett nur die zugkräftigsten Elemente seiner humoristischen Avantgarde einverleiben.
„Man muss Unikat bleiben“, weiß Helge, „und den Leuten ständig klar machen, dass der Weg nicht in die Sackgasse führt, sondern ganz woanders hin. Ich tendiere dazu, öfters beizudrehen.“ Dennoch werden seine Windschattengewächsen nie mit den Windmühlenflügel öffentlicher Verachtung zu kämpfen haben: Denn wo diese vorgeblich versuchen, Konventionen zu durchbrechen, haben sie für Helge gar nicht existiert. Wo sie versuchen Unterhaltungsstrukturen zu karikieren, versprühte Helge nur „formvollendete Debilität“ (FAZ), das einzige Mittel, das in unseren drögen Talk- und Fun-Show-Zeiten noch wahrhaftige Empörung zu erzeugen im Stande ist.
„Comeback – der letzte Versuch“ ist daher der folgerichtige Titel seiner aktuellen Show, die ihn ab 9. November auch zwei Wochen lang nach Österreich führen wird und in der er noch einmal alle Register seines Unvermögens zieht, um damit jene seines musikalischen Könnens in den Schatten zu stellen. Noch einmal tanzt er wie ein Eiskunstläufer auf dem Trockenen – oder ein Esel auf dem Eis -, lässt eine Äffchen-Handpuppe Trompete spielen, schnauft, schnulzt und spontanadelt mit jener anarchistischen Unlustigkeit, die dem vor Fassungslosigkeit sprachlosen Publikum hysterische Lachanfälle – oder ebensolche Wutausbrüche – zu entlocken vermag. Mit seiner 9-köpfigen Band (inkl. Buddy Casino und ab den Österreich-Terminen voraussichtlich auch wieder Trommler Peter Thoms), die er am liebsten als „Die Mormonen“ bezeichnet, denn „dann dürfen die kein Geld annehmen“, und bisweilen einzeln zu sich ins Rampenlicht holt, um sie der von ihm ausgehenden Lächerlichkeit preiszugeben, kehrt er auch zwischendurch zu seinen Swing- und Jazz-Wurzeln zurück, spielt Sax, Vibraphon, Schlagzeug, Klavier und Gitarre – aber nie lange genug, um die allgemeine Atmosphäre des ärmlichen Dilettantismus mit ernsthafter Virtuosität zu gefährden.
Ein Gag allerdings entwickelt eine geradezu prophetische Tiefe: Seinen Hit „Katzenklo“ zersingt er zuerst selbst – in der Rolle des 96-jährigen Helge Schneider, der kurz vor seinem endgültigen Abgang sein Publikum noch einmal mit dem seinerzeitigen Kult-Song beglücken möchte, – nur um das Mikro nach der ersten Strophe einem Bühnenarbeiter zu übergeben: „Da, sing du mal weiter!“ Weniger wehmütig lässt sich die eigene Ersetzbarkeit, für Helge Schneider das Weiße im Auge der Realität, nicht veranschaulichen. Oder das vermeintlich gescheiterte Comeback selbstironisch persiflieren. „Das war heute aber ein schönes Wunschkonzert“, beeendet er schließlich den Abend, „für mich.“
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