Schönheit der Schattenseite
Der Standard 06/1994
Die Linke hämmert und klopft auf Knöpfen, die Rechte gleitet virtuos und springt akrobatisch von Taste zu Taste. Dazwischen bläht sich der Balg und verwandelt die Ziehharmonika in einen Zauberkasten entrückender Resonanzen.
Melodien von Glass’scher Zerbrechlichkeit wechseln mit monumentalen Tonfolgen, chassidische Walzer mit jazzigen Wienerliedern und swingender Kammermusik. Unentzweibar verschmilzt die Stimme mit dem Klang des Instruments. Dramatische Akkorde beleben Kafkas „Landarzt“ und die Schattenseite des Mondes erscheint in bislang ungeahnter Schönheit. (Traurig steht das Waters/Gilmour-Original im Eck und verkümmert als scheinbar trostloser Versuch der Umsetzung einer guten Idee.)
Der Urheber dieses anspruchsvollen Entzückens, das vergangenen Montag 90 Minuten lang die Besucher des Theaters im Künstlerhaus in Atem hielt, ist eines der beschriebensten Blätter der musikalischen Gegenwart in Wien: Otto Lechner, Komponist und Pianist. Ein Vollblut-Musikant, dessen einziges Versäumnis darin besteht, sein „Akkordeon solo“ bis dato erst dreimal auf die Bühne gebracht zu haben. Wiedergutmachungs-Termine im Spät-Herbst sind bereits in Planung.
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