30 Jahre Kabarett Niedermair
Falter 09/2013
„Das war das mit Abstand Lustigste, was ich je im Niedermair erlebt habe“, schwärmt Thomas Maurer in lebhafter Erinnerung an die Abfolge unpräziser Anweisungen Henri Brugats vom Kindertheater-Duo „Pipifax“ an den damaligen Hausherrn I Stangl beim Einrichten der Bühnenscheinwerfer. Auf einer Leiter stehend können cholerische Zustände gleichzeitig sehr gefährlich und dabei höchst unterhaltsam sein. In ihrer unfreiwilligen Komik unvergessen sind auch die zahllosen vergeblichen Versuche Stangls, den Anrufbeantworter fehlerfrei mit den oft ausufernden Spielplan-Informationen zu besprechen. Kabarettist Werner Brix widmete diesem Bild wütenden Jammers in seinem Solo „Brix – trifft Jesus“ (2000) sogar einen eigenen Sketch.
Noch weit weniger witzig ging es am 21. Oktober 1983 hinter den Kulissen zu. Als Kurt Weinzierl am Eröffnungsabend des „Kabarett Niedermair“ die Bühne betrat, um sein Solo „Der Herr Karl – Lebenserwartungen“ zu spielen, war die Farbe an den Wänden noch nicht getrocknet. „Es war das reinste Chaos“, erinnert sich Gründerin Nadja Niedermair, die erst wenige Monate zuvor kurzerhand ein paar störende, aber auch tragende Wände eigenhändig eingerissen hatte, um eine frei gewordene Erdgeschoss-Räumlichkeit in ihrem Biedermeier-Haus hinterm Café Eiles in einen Theaterraum zu verwandeln. „Das fällt ja schon fast unter Jugendsünde“, lacht sie, „ich war 19 und sehr naiv, aber das Kleinkunst-Metier gefiel mir so gut, dass ich das unbedingt durchziehen wollte.“ Nach Weinzierl bestritten seinerzeit Andreas Vitásek, Otto Grünmandl und I Stangl das viertägige Opening.
Das öffentliche Interesse an der Theatergründung hielt sich in Grenzen. Die Haltung der Medien verortet Stangl rückblickend zwischen „völliger Wurschtigkeit und arroganter Skepsis“. Selbst im „Falter“ erschien damals nur eine kurze Notiz, in der die Eröffnung eines „Kabarett Niedermayer“ (sic!) angekündigt wurde. Überschaubar war auch die heimische Kabarettszene. Klingende Namen und zugkräftige Künstler gab es nur wenige. Das Vorhaben, im „Niedermair“ rasch einen qualitativ verlässlichen, täglichen Spielbetrieb zu installieren, resultierte zwangsläufig in einer Offenheit jungen Talenten gegenüber. Damit erklärt sich Stangl rückblickend den Ruf des Hauses, als wesentlichste Brut- und Förderstätte für den Nachwuchs fungiert zu haben. „Das war aber nie unsere erklärte Aufgabe oder Zielsetzung“, widerspricht er der gängigen Meinung, „wir wollten einfach nur gutes Kabarett bieten.“
Das im „Niedermair“ zu diesem Zweck halbjährlich veranstaltete „Sprungbrett“ – vier Anfänger an einem Abend – erwies sich für so manchen Newcomer als Karriere-Kickstarter. An den ersten Auftritt der „erfrischenden, jungen und hochbegabten“ (Volksblatt) Gruppe „Schlabarett“, damals bestehend aus Alfred Dorfer, Andrea Händler und dem inzwischen beim ORF für Satireformate zuständigen Peter Wustinger, erinnert sich Stangl aber mit gemischten Gefühlen: „Das war weiß Gott keine Offenbarung. Nadja wollte sie eigentlich nie wieder auftreten lassen.“ Ein Jahr später folgte dann unter Federführung des vom Präsenzdienst zurückgekehrten Roland Düringer die Bundesheer-Satire „Atompilz von links“, die wegen ihres großen Erfolgs jahrelang auf dem Spielplan blieb.
Beim gleichen „Sprungbrett“ präsentierte sich auch das Duo „Tramp & Trenkwitz“, dessen zweite Hälfte heute als Direktionsmitglied der Volksoper und ORF-Opernball-Kommentator tätig ist. „Mein wesentlichster Beitrag zum österreichischen Kabarett war es“, scherzt Christoph Wagner-Trenkwitz, „dass ich meine Karriere schnell wieder an den Nagel gehängt habe.“
Die Erinnerungen und Einschätzungen der damals auch privat liierten Nadja Niedermair und I Stangl bezüglich der ersten Jahre des „Kabarett Niedermair“ weichen in vielen Details voneinander ab, in einem Punkt sind sie sich aber einig: „Es war uns nicht sonderlich angenehm, als da 1984 plötzlich spätabends nach einer Vorstellung dieser junge Mann ins leere Theater kam und darauf bestand, uns beiden jetzt und hier vorzuspielen.“ Josef Hader war unbeirrbar. „In der Kulisse hatten sie meine Bewerbungsunterlagen verschmissen“, erzählt er, „deshalb wollte ich mich diesmal unbedingt persönlich vorstellen.“ Ein bekanntlich folgenschweres Ereignis. Vom „Sprungbrett“ direkt in den Spielplan. Nach einigen Auftritten mit seinem ersten Solo „Fort geschritten“ ließ ihn Stangl dann über Monate hinweg als „Vorgruppe“ bei seinen Vorstellungen auftreten. „Es hat ja kein Hahn nach einem völlig unbekannten jungen Kabarettisten namens Hader gekräht“, erklärt Stangl diese Popularisierungs-Maßnahme im Vorfeld der ersten „Niedermair“-Premiere des Newcomers.
„Marketingtechnisch habe ich das eher ungeschickt angelegt“, erinnert sich Hader an die teils irritierten Publikumsreaktionen, „ich hätt einfach immer die besten zehn Minuten aus dem alten Programm spielen sollen, statt ständig neue Nummern auszuprobieren.“ Schlussendlich wahrscheinlich einer von vielen Gründen, warum das mit seinem Schulkollegen Otto Lechner zusammen auf die Bühne gebrachte Programm „Der Witzableiter und das Feuer“ (1985) prompt mit dem „Salzburger Stier“ ausgezeichnet wurde.
Eine eigentümlichen Einstieg hatte auch Thomas Maurer in die Kabarettszene: er wurde 1988 vom „Niedermair“ regelrecht schanghait. Es soll Alkohol im Spiel gewesen sein. In besonders heftiger Form bereits bei der Anmeldung für seine erste „Sprungbrett“-Teilnahme. „Ich kann guten Gewissens behaupten, dass ich bis zu jener Nacht, als ich das Sprungbrett-Plakat am Niedermair gesehen und mich spontan beworben habe, nie zuvor auch nur den Gedanken hatte, mich als Kabarettist zu betätigen“, erinnert sich Maurer verschwommen an den Moment seiner Initiation.
„Das war eine tolle Viertelstunde“, schwärmt Stangl noch heute von diesem ersten Kurzauftritt Maurers, für den sich der junge Buchhändler gerade einmal eine Seite Text vorbereitet hatte: „Aber nach drei Minuten wieder abgehen, wäre dann doch feig gewesen. Also habe ich improvisiert und bin das Publikum angeflogen. Das fanden alle recht erbaulich.“
Da er jedoch auch nach zwei weiteren „Sprungbrett“-Auftritten noch immer nicht dazu zu bewegen war, ein ganzes Programm zu erarbeiten, wurde er eines Abends im „Niedermair“ so lang planmäßig mit Gratisgetränken abgefüllt, bis er – abermals von Übermut beseelt – einen Vertrag unterschrieb, der neben einem Premierentermin und etlichen Folgeauftritten vor allem heftige Pönale-Zahlungen im Nichteinhaltungsfall beinhaltete. „Wir wollten einfach, dass der Bub jetzt mal richtig an sich arbeitet,“ lacht Stangl über diese gelungene Zwangsrekrutierung, „weil wir uns ganz sicher waren: Wer 15 derartig brillante Minuten auf die Bühne bringt, kann noch viel mehr.“ Maurers Solo-Debut „Unterm Farkas hätt’s des net geben“ erlebte dann im Herbst 1988 seine Uraufführung. Mit dreiwöchiger Verspätung, weil er am Vorabend der geplanten Premiere von einem Auto schwer angefahren worden war. Die Pönale wurde ihm erlassen.
Auch für die Förderung eigenwilliger Künstler weit abseits des kabarettistischen Mainstreams – wie Karl-Ferdinand Kratzl oder Martin Puntigam – bewies das „Niedermair“ stets ein gutes Gespür. „Hochwertig und zukunftsweisend“ sollten die gezeigten Programme sein. Als I Stangl 1991 selbst das Ruder der inzwischen bereits ruhmreichen Kleinkunstbühne von Nadja Niedermair übernahm, kam es somit zu keinem markanten künstlerischen Kurswechsel. Trotzdem war das Jahr ein wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des „Kabarett Niedermair“. Innenarchitektonisch. Denn wo heute Bühne und Künstlergarderobe sind, waren ursprünglich Eingang und Vorraum. Die Bühne indes befand sich am hinteren Ende des Saals, wo heute die Technik untergebracht ist. Das hatte unter anderem den Nachteil, dass der Weg zu den Toiletten über die Bühne führte. Der Rückweg auch. Wer die Pausenlänge unterschätzt hatte, wurde unfreiwillig Teil des Bühnengeschehens. Gelegentlich verfolgten Schüchterne daher die ganze zweite Hälfte aus dem sanitären Backstage-Bereich. Erst der Umbau im Sommer 1991, bei dem auch der vormals unüberdachte Innenhof zu Foyer, Garderobe und Bar umgestaltet wurde, brachte die 180°-Drehung des Saals.
Mit Konsequenz und Kompromisslosigkeit bei der Auswahl der Auftretenden leitete Stangl zehn Jahre lang die Geschicke des Hauses. In seine Ära fallen u.a. die kabarettistischen Geburtsstunden von „Steinböck & Rudle“, Severin Groebner, Thomas Stipsits und Gery Seidl. Seinen Szene-Spitznamen „Papa“ verdankt er nicht nur seiner Fürsorglichkeit, sondern auch seiner elterlichen Strenge, mit der er Künstler fallweise bereits wenige Minuten nach Abebben des Premierenapplauses in seinem Büro zur Schnecke machte. „Gardinenpredigt“ ist für seine Leviten nur ein Hilfsausdruck. „Ja, aber nur, wenn es wirklich ganz schlimm war“, schränkt Stangl ein, „vor allem, wenn ich gewusst habe, dass im Vorfeld zu wenig gearbeitet worden ist. Dann habe ich mich als Veranstalter ausgenutzt gefühlt.“ Der gute Ruf sei schließlich das größte Kapital eines Theaters. So manchen hoffnungsvollen Aspiranten sagte er auch unverblümt ins Gesicht, dass sie sich dringend einen anderen Job suchen sollten: „Denen darf man keine Hoffnungen machen, sonst ist man ja mitschuld an einem verpfuschten Leben.“
„Man bekommt da im Lauf der Jahre in sehr verlässliches Bauchgefühl“, pflichtet ihm Andreas Fuderer bei, der das „Niedermair“ nach einem kurzen Interregnum durch die „Kulisse“-Chefin Doris Ringseis (2001 – 2003) übernahm und seit zwei Jahren auch als Co-Geschäftsführer des neuen „Stadtsaal“ auf der Mariahilferstraße tätig ist. Dennoch will er seine Funktionen nicht überbewertet wissen. „Man darf sich da nicht zu wichtig nehmen“, wiegelt er ab, „wirklich eingreifen in den Werdegang von Künstlern kannst Du eh nicht. Es ist ein wenig so wie dieses Flugzeugkarussell im Prater. Das fliegt immer im Kreis. Du kannst höchstens ein wenig hinauf und hinunter steuern, indem du jemanden häufiger oder seltener spielen lässt.“ Zu seinen teils im „Theater am Alsergrund“ vorgeschliffenen Neuentdeckungen der letzten Jahre zählen u.a. „BlöZinger“, „Flüsterzweieck“, Klaus Eckel, Hosea Ratschiller, Christoph Spörk und Paul Pizzera.
„So großspurig das jetzt klingen mag“, meint Stangl, „mir ist kein Fall bekannt, dass wir irgendwann einen Künstler abgelehnt hätten, der dann später auf anderen Wegen zu einem bekannten Kabarettisten geworden wäre.“ Ob nicht in Einzelfällen die Ablehnung eine hoffnungsvolle Karriere im Keim erstickt hat, bleibt freilich unbelegbar. Umgekehrt würde aus Stangls These jedenfalls auch ein Schuh. Aber den würden sich weder er noch Andreas Fuderer anziehen. Schon gar nicht zum 30. Geburtstag. Und das vermutlich eh zurecht.
Aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums lässt das „Kabarett Niedermair“ an acht Abenden die Geschichte des Hauses mit Programm-Revivals und exklusiven Sonderanfertigungen Revue passieren. „Steinböck & Rudle“ (22.9.), „Schöller & Bacher“ & „WalterSeidl“ (28.9.) und „Dorfer & Düringer“ (23.9.) sorgen für – vorläufig – einmalige Wiedervereinigungen einst schillernder Duos. Thomas Stipsits, Klaus Eckel, Martin Kosch und Pepi Hopf formieren sich zur Feier des Bühnengeburtstags noch einmal zur 2003er-Besetzung der vor fünfzehn Jahren begründeten „Langen Nacht des Kabaretts“ (29.9.). Erstmals gemeinsame Sache macht im Rahmen der Jubiläumswoche Josef Hader mit dem „FM4-Ombudsmann“ Hosea Ratschiller (24.9.). Thomas Maurer, I Stangl und Karl-Ferdinand Kratzl erinnern unter dem Titel „Wie alles begann“ an die Anfänge des „Kabarett Niedermair“ (26.9.). Dazu gibt es noch eine „Steirer-Parade“ u.a. mit Leo Lukas, Martin Puntigam, Paul Pizzera und dem Duo „Flüsterzweieck“ (25.9.) und ein buntes „Best-of-Niedermair“ (27.9.). Für einige dieser Jubiläumsveranstaltungen gibt es noch regulär Karten. Für die anderen gilt: Restkarten an der Abendkasse. Vielleicht.
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