Haferschleim und Westernhagen
Interview mit dem Berliner Chansonnier und Klavier-Kabarettisten Sebastian Krämer.
Falter 09/2018
Jeder Versuch einer Beschreibung oder Einordnung des Werks von Sebastian Krämer muss zwangsläufig zu einer Lobeshymne werden. Denn seit Jahrzehnten gelingt es ihm, seine lyrische und musikalische Genialität zu brillanten Liedern zu kombinieren: sprachlich artistisch und präzise, poetisch und pointiert, humoristisch hintergründig und ironisch, melodiös und inhaltlich voll prägnanter Bilder und überraschender Wendungen. Am Freitag gastiert dieser anspruchsvolle und vielfach ausgezeichnete Ausnahmekünstler mit seinem aktuellen Programm „Im Glanz der Vergeblichkeit – Vergnügte Elegien“ im Stadtsaal.
Herr Krämer, die Vergeblichkeit glänzt?
Ja, das tut sie sehr gerne mal. Franz Kafka liefert ein anschauliches Beispiel in seiner Türhüterlegende. Das ist mir übrigens erst aufgefallen, als ich den Titel schon hatte! Kafkas Geschichte geht ungefähr so: Ein Mann begehrt Einlass ins Gesetz, der wird ihm verwehrt. Aber anstatt sich zufrieden zu geben und nach Hause zu gehen, bleibt er – vergeblich – sein ganzes Leben lang vor dem bewachten Eingang stehen. Als er schon alt und gebrechlich ist, tritt, verursacht von seiner zunehmenden Sehschwäche, durch den Türspalt ein „Glanz“. Hier ist der Zusammenhang zwischen Vergeblichkeit und Glanz sehr deutlich, er liegt im Moment der Resignation, Frustration, die uns moralisch oder ästhetisch auf eine höhere Stufe heben kann. Nach der Hoffnung kommt der Glanz. So ist es auch mit Sisyphos, den sich Camus beim Hinabsteigen vom Berg, um den Stein wieder aufzusammeln, „als glücklichen Menschen“ vorstellt. Ich könnte Ihnen auch noch mehr Beispiele aus der Literatur nennen, der Schundliteratur zum Beispiel, nämlich in Tarantinos „Pulp Fiction“. Da kommt der Glanz aus einem Koffer …
Um diesen Glanz geht es In den Liedern Ihres neuen Programms? Er wirkt jetzt nicht unbedingt wie der ideale Nährboden für kabarettistische Chansons.
Nein, für kabarettistische vielleicht nicht, aber das bedauere ich wenig. Das Genre lautet: Vergnügte Elegien. Das hat mit Kabarett gar nichts zu tun. In diesen Liedern geht es zum Beispiel um einen Buchleser, der nicht umblättern kann, weil es sich um eine bronzene Skulptur von Barlach handelt, um eine vergessene Puppe im Garten und um eine Ex-Hexe, der man im Linienbus begegnet. Manchmal muss ich mir als Sänger auch einfach die Vergeblichkeit des Liedersingens ganz allgemein eingestehen, was nicht neu ist. Schon Kreisler sang Anfang der 70er: „Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen“. Auch die Machtlosigkeit gegenüber Tod und Abschied wird besungen, Themen, so alt wie das Liederschreiben selbst.
Jetzt sind es „Vergnügte Elegien“, vor ein paar Programmen waren es noch „Schlaflieder zum Wachbleiben“. Ist das Spannungsfeld von Widersprüchlichkeiten und Absurditäten Ihre künstlerische Wohlfühlzone?
Zunächst mal erweitert so ein Widerspruch eben die Zone, anstatt sie einzugrenzen. Denn etwas scheinbar Unmögliches kann alles Mögliche meinen. Zweitens müssen wir uns klarmachen, dass ja Bezeichnungen dieser Art keinen Auftrag darstellen, sondern erst gefunden werden, wenn das Produkt – zumindest größtenteils – schon da ist. Und ohne Widerspruch hätte ich gar nicht das Gefühl, dass es sich allen Ernstes um eine Beschreibung meiner Tätigkeit handeln könnte. Oder zumindest keine wohlwollende. Jedes gute Lied verhandelt Diskrepanzen zwischen Vorder- und Hintergrund, Erwartbarem und Erklingendem.
Sind Lieder für Sie auch ein probates Mittel, um den bisweilen steilen Abgründen und Anstiegen, also den realen Verwerfungen und Zumutungen des Lebenswegs zu begegnen?
Ja, gewiss, ein ebenso probates, wie, Sie ahnen es schon: vergebliches.
Bedauerlich. Vermutlich auch, weil in der Realität oft das Gleiche gilt, was Sie einst für Ihre Lieder postuliert haben: Die Anfänge verraten noch nichts darüber, wie sie enden werden.
In der Realität gibt es aber überhaupt nur sehr selten Anfänge und Enden. Das meiste zieht sich so dahin …
Apropos: „25 Lieder aus 25 Jahren“ heißt ihre im Mai erschienene Doppel-CD mit einer Auswahl besonders beliebter Titel. Das älteste Lied darauf stammt aus dem Jahr 1991. Da waren Sie kaum 15 Jahre alt. Haben Ihre Eltern Sie zu diesem Beruf gezwungen oder waren Sie ein freiwilliger Frühzünder?
Bei Essig und Haferschleim musste ich im Kartoffelkeller täglich fünf Lieder schreiben. Und für jeden unreinen Reim setzte es eine Stunde Marius Müller-Westernhagen als abschreckendes Beispiel, was aus einem werden kann, wenn man sich nicht bemüht. Zum Glück kannten meine Eltern noch keinen Deutschrap, sonst wäre mein ästhetisches Empfinden wohl nachhaltig zerrüttet worden.
Danke für das Gespräch.
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